Strategie Dialog: Orange Weste statt Schutzmontur

Das Dialogteam der Kapo Bern will wie früher der Dorfpolizist wieder mehr Nähe zu den Menschen schaffen.

17. Dezember 2017

Von und

Seit ein paar Jahren setzt die Kantonspolizei Bern bei Fussballspielen und Demonstrationen sogenannte Dialogteams ein, um potenzielle Gewaltausschreitungen zu verhindern. Sandro Hofer ist einer dieser Dialogpolizisten. Er erzählt der bärner studizytig von seinen Erfahrungen mit Randalierenden und berichtet, wo Kommunikation an Grenzen stösst.

«Guete Abe. Das isch ä Mitteilig vo dr Polizei. Hüt Abe wird vo Linksautonome zurä unbewilligte Demo ufgrueffe. Dr Gmeindrat vo dr Stadt Bärn toleriert die Kundgäbig nid und het zudäm für hüt und morn sämtlechi Demos verbote», tönt es durch den überdimensional grossen Fahrzeug-Lautsprecher der Kantonspolizei unter dem Baldachin des Bahnhofs Bern. An diesem Samstag Mitte Oktober ist die Polizei mit einem Grossaufgebot vor Ort. Sie hat den Auftrag, die angekündigte Antifa-Kundgebung zu verhindern. Sandro Hofer ergänzt seine Durchsage durch den Lautsprecher: «Wär hie isch für ds demonschtriere, mues mit äre Feschtnahm rächne. Aune angere wünsche ig ä schöne Abe, gniesset dr Usgang in Bärn und chömet de guet hei.» Hofer ist Uniformpolizist und an diesem Samstag unterwegs für das Dialogteam der Kapo Bern. Zwischen den Durchsagen am Mikrofon ist er auf den Strassen unterwegs und sucht immer wieder das Gespräch mit den Menschen.

Das Dialogteam ist das Resultat einer Strategie, die von der Kantonspolizei Bern 2012 gestartet wurde. «Wir haben gemerkt, dass die Polizei durch ihre Ordnungsdienstuniform und den Schutzschild Teil der Gewaltspirale sein kann», sagt der stellvertretende Chef von Dialog Region Bern, Sandro Hofer, im Gespräch mit der bärner studizytig. Das Zimmer auf der Polizeiwache Ostring im Berner Diplomatenviertel, wo das Gespräch stattfindet, ist minimalistisch eingerichtet. Ein graues Pult steht in einem ansonsten leeren Raum, an beiden Tischenden befindet sich je ein Stuhl. Gut möglich, dass das Zimmer sonst für Verhöre genutzt wird.

Polizei und Demonstrierende rüsten gegenseitig auf

Mit «Teil der Gewaltspirale» meint Hofer, dass die Polizei in aufgerüsteter Einheitsmontur dazu beiträgt, dass sich Demonstrierende ebenfalls stärker verteidigen – ein gegenseitiges Aufrüsten sozusagen. Das führt etwa dazu, dass gewaltbereite Personen eher einen Stein gegen den Polizeiblock werfen. Die Dialogpolizei soll dafür sorgen, dass es gar nicht erst so weit kommt. Durch Kommunikation will sie deeskalieren. Im Gegensatz zu seinen ArbeitskollegInnen beim Ordnungsdienst trägt Hofer eine orange Veste und ist mit Namen angeschrieben. Er ist zwar mit einer Pistole bewaffnet, Schutzhelm und Schlagstock lässt er jedoch jeweils zu Hause. «Dadurch dass wir im Dialog nahe herangehen und als Individuen auftreten, werden wir als Menschen wahrgenommen», so Hofer. Somit sinke die Bereitschaft, gegenüber der Polizei gewalttätig zu werden.

«Unsere Philosophie ist, dass man immer reden kann, egal in welcher Situation»

Ursprünglich wurde das Dialogteam für Sportveranstaltungen eingesetzt, zuerst bei Fussballspielen, dann bei Hockeymatches. Seit 2015 sind Hofer und sein Team auch an Kundgebungen und Demonstrationen präsent. Sogar an Volksfesten vermittelt das Dialogteam. «Wir sind überall dort, wo viele Leute zusammenkommen und es einen erhöhten Kommunikationsbedarf gibt», sagt Hofer. Vielfach beantwortet er auch niederschwellige Fragen der Passanten: «Wo geht’s zum Bahnhof?» oder «Wo kann ich parkieren?». Oft hört er auch einfach nur zu.

Schritt zurück zum Dorfpolizisten

«Wir wollen, wie früher der Dorfpolizist, greifbar und ansprechbar sein», sagt Hofer. Im Zuge der Professionalisierung der Polizei sei die Nähe zu den Menschen im urbanen Raum teilweise verschwunden. Dieser Entwicklung will die Polizei entgegenwirken. Zudem sei der Legitimationsbedarf der Polizei grösser geworden. «Früher hatte der Polizist in der Bevölkerung per se eine Autorität, welche nicht hinterfragt wurde», so Hofer. Heute würden die Handlungen der Polizei viel mehr in Frage gestellt. «Das ist auch gut so», sagt er. Er erinnert sich an eine Kundgebung, wo am Rande einer Einkesselung mehr als ein Dutzend Personen auf ihn eingeredet haben. Sympathisierende, PassantInnen und Schaulustige, sie alle wollten wissen, was hier passiert und verlangten eine Erklärung für das Verhalten der Polizei. «Es war sehr eindrücklich. Die Leute waren wirklich dankbar, dass sie eine Ansprechperson hatten.»

Hofer betont allerdings immer wieder, dass er und sein Team als «normale» Polizisten wahrgenommen werden wollen. Im Gegensatz zu den deutschen KollegInnen, die mit «Anti-Konflikt-Team» beschriftet sind, hat sich die Berner Polizei bewusst gegen eine solche Kennzeichnung entschieden. Eine Abgrenzung würde die Kategorisierung in das «Wir-und-die-Anderen» fördern, erklärt Hofer. «Eigentlich machen wir, was die Polizei schon immer gemacht hat – nämlich kommunizieren.» Die Aufgaben seien nun einfach stärker aufgeteilt.

Frust vom Gegenüber wahrnehmen

Szenenwechsel: Die Reitschule feiert Ende Oktober mit einem Umzug ihr 30-jähriges Bestehen. Sandro Hofer ist vor Ort und kommuniziert. Zuerst sucht er die Ansprechperson der Jubiläums-Demo und versucht mit den Teilnehmenden ins Gespräch zu kommen – zum Teil mit Erfolg, zum Teil vergeblich. Er spricht auch mit Bernmobil, dem Kioskverkäufer und den Angestellten vom Bärenpark. Diese erzählen ihm, dass sie die Bären nach drinnen gebracht haben, um sie vor allfälligem Feuerwerk zu schützen. Dann geht’s los. Hofer und sein Team begleiten den Demonstrationszug durch die Innenstadt.

Polizist Sandro Hofer war dieses Jahr bereits 25 Mal für das Dialogteam im Einsatz. Einmal wurde er als Dankeschön sogar zu einem Bier eingeladen.

Die Reaktionen sind vielfältig: Von «Vielen Dank für euren Einsatz» bis «Haut ab, ihr habt hier nichts zu suchen» hört er alles. «Meine persönliche Meinung darf in solchen Situationen keine Rolle spielen. Es geht darum, den Frust oder das Anliegen des Gegenübers wahrzunehmen.» Auf negative Kommentare erwidere er in der Regel nichts und bleibe einfach präsent. Ganz nach dem berühmten Axiom von Paul Watzlawick sei auch das eine Art von Kommunikation. «Man kann nicht nicht kommunizieren», zitiert Hofer den Kommunikationswissenschaftler. Und weiter: «Wir sind uns bewusst, dass nicht alle Freundinnen und Freunde der Polizei sind, das gilt es zu akzeptieren.»

Emotionale Kontrolle ist psychologische Höchstleistung

Herausfordernd findet Hofer, wenn er jemanden bei einer Sachbeschädigung – etwa beim Sprayen – erwischt, es aber unverhältnismässig wäre, die Person anzuhalten und eine Eskalation auszulösen. «Solche Situationen können mich schon wütend machen, ich muss sie aber aushalten können», sagt Hofer. Noch schwieriger findet Hofer, innert kürzester Zeit verschiedene Situationen zu managen und dabei emotional die Kontrolle zu bewahren. Er erklärt es so: «Stellen Sie sich vor, sie streiten mit jemandem und ein Kind kommt vorbei und fragt nach dem Weg. Obwohl ich innerlich wütend bin, muss ich diesem ruhig und freundlich den Weg erklären – das ist eine psychologische Höchstleistung!». Hofers Stimme wird lauter und er wiederholt sich. Man merkt, dass ihm die Thematik nahe geht. «In solchen Situationen ist es wichtig, den Blick auf das Ganze zu wahren.»

Schliesslich gibt es aber auch die schönen Momente. Momente in denen Sandro Hofer hilft, eine Eskalation zu verhindern oder eine verängstigte Familie durch eine Demonstration geleitet. Es ist auch schon vorgekommen, dass Hofer am Ende des Tages zu einem Bier eingeladen wurde. «Das musste ich natürlich dankend ablehnen», sagt er lächelnd.

Man müsse Menschen mögen, um diesen Job ausführen zu können, sagt Hofer. Er war dieses Jahr bereits 25 Mal für das Dialogteam im Einsatz – oft am Abend oder am Wochenende. Das beeinträchtigt das Privatleben. «Ich habe zum Glück eine Freundin, die versteht, wie viel Herzblut ich in diese Arbeit stecke», so Hofer. Wenn er nicht als Polizist oder im Dialogteam arbeitet, widmet der 38-Jährige sich berufsbegleitend dem Bachelorstudium der Sozialen Arbeit an der Berner Fachhochschule.

Dialog, Deeskalation, Durchgreifen

Und wann bringt Kommunikation nichts mehr? «Unsere Philosophie ist, dass man immer reden kann, egal in welcher Situation», antwortet Hofer. «Reden geht nicht mehr» gebe es nicht bei der Polizei. Eine Aussage, welche im Lichte von Tränengas- und Gummischroteinsätzen etwas zynisch anmutet. Im Gespräch mit Hofer merkt man jedoch: Er meint es ernst und ist von der Wirkung der Kommunikation zutiefst überzeugt. «Wir verfolgen eine sogenannte Drei-D-Strategie: Dialog, Deeskalation, Durchgreifen», führt Hofer aus. Die Strategie scheint der Polizei wichtig, Hofer wiederholt sie im Gespräch immer wieder. Manchmal müsse die Polizei zwar auch durchgreifen, räumt Hofer ein, danach könne die Kommunikation aber wieder bei den beiden anderen D – Deeskalation und Dialog – ansetzen.

«Wer weiss, vielleicht gibt es in 40 Jahren ja nur noch Dialogpolizistinnen und -polizisten»

Zahlen zu den Dialog-Einsätzen sowie deren Wirksamkeit erhebt die Kantonspolizei Bern nicht. «Es spielt eigentlich keine Rolle, denn auch wenn wir nur im Einzelfall etwas bewirken konnten, waren wir erfolgreich.» Die Wissenschaft hingegen konnte einen positiven Einfluss von Dialogteams nachweisen. Erst kürzlich hat eine Studie der Sportwissenschaften der Universität Bern gezeigt, dass die Polizei mit ihrem Verhalten die Fangewalt im Schweizer Fussball massgeblich beeinflussen kann. Laut Alain Brechbühl und seinen StudienpartnerInnen kann eine zurückhaltende Polizeitaktik Ausschreitungen verhindern. Kritische Situationen bleiben am ehesten friedlich, wenn ein informativer Dialog zwischen den Gruppen stattfindet. Hofer bestätigt, dass die Polizei an Fussballspielen in Bern mittlerweile meist weniger sichtbar präsent ist.

Dialogteams nur in Bern und Luzern

In der Region Bern umfasst das Team rund 40 PolizistInnen, je nach Anlass sind bis zu 15 im Einsatz. Speziell geschult werden die «Dialögler» – wie sich die Mitarbeitenden der Dialogpolizei untereinander nennen – für den Job nicht. Abgeschaut hat die Kapo die Idee des Dialogteams bei anderen europäischen Staaten – auch Deutschland, Holland und Schweden kennen solche. Neben Bern gibt es sie im Kanton auch in Biel und dem Berner Oberland. In der restlichen Deutschschweiz setzt von den Städten Zürich, Basel, Luzern und St. Gallen nur Luzern ein vergleichbares Team ein. Alle anderen beteuern zwar, auf Kommunikation Wert zu legen, setzen dafür aber kein Spezialteam ein. Laut Sandro Hofer gibt es sogar Polizeikorps in anderen Kantonen, welche das Dialogteam wieder abgeschafft haben.

Ginge es nach Hofer, sollte man das Dialogteam in Bern fördern und ausbauen. Wie sich dessen Zukunft entwickelt, kann er jedoch nicht abschätzen. «Wir sind eine relativ junge und frische Organisation», sagt Hofer. Zudem bewege sich die Polizei täglich in einem Spannungsfeld: Die einen wollen mehr Dialog, die anderen weniger. Mit dem Vorwurf der Kuscheljustiz konfrontiert, antwortet Hofer: «Wenn man mit ‹kuscheln› im Sinne von Dialog und Reden in einem Einsatz etwas erreichen kann, ist mir egal wie man das bezeichnet.» Also Prävention statt Repression? «Prävention statt Repression ist ein Grundsatz, den wir immer schon verfolgt haben – vielleicht einfach visuell weniger erkennbar», sagt Hofer. Der Entscheid über den Einsatz des Dialogteams liegt letztlich nicht in seiner Hand, sondern in jener der Einsatzleitung. «Wer weiss, vielleicht gibt es in 40 Jahren ja nur noch Dialogpolizistinnen und -polizisten», sagt Hofer verschmitzt.

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments