Stolz, stolzer am stolzesten – eine Gratwanderung

09. Oktober 2023

Von

Unsere Autorin hat sich gefragt, was es eigentlich mit der Emotion “Stolz” auf sich hat, ob sie einen weiterbringt oder sozial eher hemmt und wann sie gerechtfertigt ist.

«Ich bin stolz auf dich!»

Das ist wohl eines der schönsten Komplimente. Es zeugt von Anerkennung und wird einem oft mit einem bewundernden oder gut gemeinten Blick entgegengebracht. Stolz als Charakterzug, respektive als «Emotion» wie es in wissenschaftlichen Studien behandelt wird, ist jedoch eine Eigenschaft, die sowohl negative wie auch positive Aspekte belegt. Wenn jemensch «herumstolziert» empfinden wir dieses Auftreten der Person als unsympathisch, zu selbstgerecht und vielleicht auch oberflächlich. Doch wird uns nicht gleichzeitig schon im Kindesalter beigebracht, dass es wichtig sei, stolz auf sich zu sein, auf Dinge, die man tut und richtig macht? Das oben erwähnte Kompliment ist ein Satz, mit dem Eltern sowie Lehrpersonen uns das Leben lang zu motivieren versuchen, Erfolge preisen und erwünschtes Verhalten bestärken wollen. Doch was ist «Stolz» überhaupt? Was bringt einem Stolz? Und worauf kann man denn stolz sein?

Bereits in der Etymologie wird die Schwierigkeit von positiven wie negativen Konnotationen von «Stolz» sichtbar. Einerseits wird angenommen, dass «Stolz» vom mittelniederdeutschen stolt herrührt, was auch mit hochgeboren, ritterlich, edel, vornehm, berühmt oder standesbewusst, wenn nicht sogar hochmütig synonym gesetzt wird, andererseits könnte es vom lateinischen stultus abgeleitet sein, was mit töricht, albern oder dumm übersetzt wird. Bereits linguistisch scheint «Stolz» also ein umstrittener Begriff zu sein.

 

«Studien aus der Psychologie unterscheiden zwei Formen von Stolz: Zum einen den «authentischen Stolz» und zum andern den «überheblichen Stolz.»

 

Neuere Studien aus der Psychologie unterscheiden zwei Formen von Stolz: Zum einen den «authentischen Stolz» und zum andern «überheblichen Stolz». Der authentische Stolz sei dabei auf eigene Errungenschaften zurückzuführen. Ein positives Gefühl, das sich eine Person durch die eigenen Leistungen oder moralisches Verhalten verdient hat. Dieser Stolz wird folglich als gesunde und nützliche Emotion kategorisiert. Der überhebliche Stolz jedoch sei ein Gefühl, das sich bei Menschen einstelle, die sich mit «unverdienten Federn» zu schmücken wissen. Menschen, die ein natürliches Talent hätten oder mit natürlicher* Schönheit beschenkt seien und dafür oft Komplimente und Anerkennung bekämen, seien sich ohne Leistung eine gewisse Anerkennung gewohnt. Dies führe zu einem überheblichen und nicht positiv anleitenden Stolz-Gefühl, welches gleichzeitig sehr leicht verunsichert werden kann und sogar narzisstische Verhaltensweisen fördert (Mercadante et al. 2021; 130).

Stolz wird in den von mir konsultierten Studien zudem als eine Antriebsquelle für das Handeln von Individuen vermutet. Stolz seien die meisten Menschen dann, wenn sie es schaffen «[…] ein Gleichgewicht zwischen den konkurrierenden Anforderungen von Effizienz und Wirtschaftlichkeit herzustellen, um die doppelten Kosten von zu wenig Einsatz und zu viel Einsatz zu vermeiden.», so Sznycer et al. (2021). Dies gibt auch Antwort darauf, wie Stolz das Verhalten von Menschen beeinflusst.

Stolz als Gefühl respektive Emotion zu identifizieren, ist wissenschaftlich aber offensichtlich eine Herausforderung, da Angaben von Proband*innen stets unter grossem Einfluss sozialer Erwünschtheit und auch subjektiver Wahrnehmungshemmnisse stehen. Sznycer et al. weisen in ihrer Studie darauf hin, dass die Intensität von Stolz dabei sehr unterschiedlich und oft schwer nachweisbar sei. Die Frage bleibt dabei wohl immer, was das individuell gesetzte Ziel ist, das durch Stolz oder stolzes Verhalten erreicht werden soll. In der Studie werden dazu Beispiele wie die Hoffnung auf Anerkennung durch andere oder das Finden der Motivation für das Angehen neuer Herausforderungen genannt. Aber natürlich geht es oft auch um ganz klar monetäre oder gegenständliche Belohnung, wie eine Gehaltserhöhung oder eine Auszeichnung von erarbeiteten Leistungen.

Auf die schwierige Frage, ob Stolz als positive oder negative Emotion verortet werden muss, gibt es aus einer ergänzenden Studie von Mercadante et al. (2021) nur vage Antworten. Es wird lediglich betont, dass Stolz sozial gesehen sowohl positive wie negative Verhaltensweisen hervorrufen könne; authentischer Stolz führe dabei oft zu mehr Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen und damit auch zu einem deutlich sozialeren Verhalten als der überhebliche Stolz, der oft mit inneren Unsicherheiten verbunden sei und anti-soziales Verhalten befördern würde.

 

«Es gibt nur eine vage Antwort auf die Frage, ob Stolz als positive oder negative Emotion verortet werden muss.»

 

Nachweisbar ist, dass Momente des «Stolzes» ein Individuum klar darin bestärken, Anstrengung, Ausdauer und Motivation für eine herausfordernde Aufgabe aufzubringen. «Authentischer» Stolz scheint also stark mit intrinsischer Motivation, Selbstkontrolle und Durchhaltevermögen verbunden zu sein, was insgesamt das Erlernen von neuen Fakten und Informationen klar erleichtern kann. Der konträre «überhebliche» Stolz scheint dagegen eine umgekehrte Wirkung zu haben, indem er das Lernen und Aufnehmen von Neuem eher ver-/behindert. Diese Erkenntnisse werden in der modernen Pädagogik bereits praktisch angewandt. Ein Trend ist, dass die Pädagogik immer mehr auf positive Verstärkung denn negative Bestrafung setzen sollte. So habe ich das selbst in meiner Ausbildung zur Lehrperson gelernt. Wer Kinder mehr lobt, auch nur für kleine Dinge, wird bei ihnen die Erfahrung von positiven Gefühlen für Leistung fördern und damit eine neue Motivation für weitere Herausforderungen ankurbeln, was viel effizienter und offensichtlich gesünder ist, als Aufgaben zu stellen und bei deren Nicht-Erreichen erst einmal eine Schimpftirade zu halten.

Doch weg vom Klassenzimmer und zurück zur Frage: Was bringt uns Stolz?

Oft irritieren uns stolze Verhaltensweisen von anderen, wenn wir diese nicht gerechtfertigt finden. Sie wirken einschüchternd oder unsympathisch und abweisend. Altmodische Beleidigungen wie «diese arrogante Kuh» oder «der stolziert ja herum wie ein Pfau» sind noch nicht aus unserer Sprache verschwunden und zeigen; Menschen, die zu offensichtlich zeigen, stolz auf sich zu sein und/oder ein (zu) grosses Selbstvertrauen ausstrahlen (durch ihre Gestik oder Haltung, Redensweisen etc.), die mögen wir nicht. Wir reden hier vom kleinen, individuellen Stolz, doch natürlich könnte man noch weiter gehen: Ist es nicht historisch belegt, dass der Nationalstolz mitunter einer der wichtigsten Gründe für internationale Konflikte war und leider noch immer ist? Und doch ist Stolz wichtig, denn wenn man auf sich nicht stolz sein kann, wie definiert man dann seinen Selbstwert? Ist ein gutes Mindestmass an Stolz gar überlebenswichtig? Wer sich selbst nicht schätzt und nicht einen gewissen «Selbststolz» hat, der lässt sich doch zu allem bewegen und verbiegen, lässt sich gehen und wird manipulierbar? Stolz scheint also grundsätzlich ein Gefühl zu sein, das einen immer wieder ein Stück weiterbringen kann. Als Charakterzug ist es gut, die richtige Mischung zwischen Stolz und Selbstreflexion sowie Bodenständigkeit zu finden, doch ein gutes Mass an Selbstwert und damit eben auch Stolz ist für ein gesundes «Ich» unabdingbar.

Das richtige Mass von Stolz scheint eine ewige Gratwanderung zu sein. Sich in den richtigen Momenten demütig zu zeigen und nicht zu stolz zu sein, bringt einem nicht nur Sympathie ein, sondern kann auch Streitigkeiten verhindern. In Zeiten des bürgerlichen Duells, so lernte ich das im Geschichtsstudium,  war die Verletzung des Stolzes, der Ehre einer Person, ein Delikt, welches je nach Gegenüber gar zu einem Kampf auf Leben und Tod führen konnte. Gottseidank sind die Zeiten des Duellierens vorbei, und doch, wenn wir in unserem Stolz verletzt werden, sitzen diese Wunden oft tiefer, als man annehmen würde. Stolz bringt also Selbstwert, aber bietet auch Angriffsfläche. Um diese Angriffsfläche zu verringern, ergibt es wohl Sinn, sich seinem Stolz bewusst zu sein und diesen aber je nach Situation höher oder tiefer zu priorisieren.

Und doch will ich sie nicht komplett zerreissen, diese Emotion, die uns gleichzeitig anfeuert.

Damit stellt sich für mich die Frage: Worauf kann ich/man überhaupt stolz sein? Auf meine Leistungen an der Uni? Auf meine sozialen Fähigkeiten? Auf meine Sportlichkeit? Auf meine Kochkünste? Welche dieser Eigenschaften sind so wichtig, dass ich sie berechtigterweise mit Stolz vertreten beziehungsweise zeigen darf?

 

Worauf kann ich/man überhaupt stolz sein?

 

Insgesamt ist es doch wohl so, dass gesunder persönlicher Stolz daraus entsteht, dass wir uns zwar vergleichen mit den Leistungen oder Verhaltensweisen anderer und gesellschaftlich gefordertem Verhalten und gleichwohl unseren eigenen inneren Kompass haben, welche Leistungen für uns möglich sind und gut genug.

Auch wenn der Stolz oft sehr wichtig für den Charakter und den Selbstwert einer Person ist, so ist er doch auch eine Hürde, um gewisse soziale Spannungen zu überwinden. Sind wir zu stolz, gibt es doch klar mehr Eifersucht, mehr Missgunst für Verdienste anderer, und mehr Härte – ein Konflikttrigger per se. Und doch ist es, zumindest für mich persönlich, eine Selbstschutzstrategie mich hinter meinem persönlichen Stolz in Angriffsstellung zu begeben, sobald mich jemensch kritisiert oder eine Meinungsverschiedenheit aufkommt. In solchen Momenten den eigenen Stolz auch ablegen zu können, würde sicherlich viel Spannung aus der Situation nehmen und man könnte sich gemeinsam an einem kooperativen Punkt wiederfinden.

Vielleicht wäre vielen und vielem geholfen, würden wir uns öfter hinterfragen, was unseren eigenen Stolz ausmacht, ob er begründet ist und situativ auch wirklich gerechtfertigt. Und doch will ich sie nicht komplett zerreissen, diese Emotion, die uns gleichzeitig anfeuert, das Grösste und Beste aus uns herauszuholen. Sie fordert uns zu einer stetigen Gratwanderung heraus, bei der wir am besten alle vier Himmelsrichtungen immer wieder im Blick haben sollten.

 

 

Quellen:

Mercadante, Eric et al. (2021). The psychological structure, social consequences, function, and expression of pride experiences. ScienceDirekt, Behavioral Sciences, University of Columbia, Canada.

Sznycer, Daniel et al. (2021). How pride works. In: Evolutionary Human Sciences, 2021, 3, e10. doi:10.1017/ehs.2021.6.

Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache; Stolz, der URL: https://www.dwds.de/wb/Stolz (zuletzt besucht am 20.09.2023).

 

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments