Sommermoment #27
Über die Angst vorm Alleine – Wandern
Diese Semesterferien habe ich wieder einmal einen Ferienjob angenommen. Flyer verteilen. In meinem letzten Flyer-Job habe ich als wandelnde Plakatwand Werbung für Hörgeräte gemacht. Das ist nicht gerade der angenehmste Grund, Menschen mittleren Alters anzusprechen. Möglichst sensibel gegenüber der Altersdiskriminierung versuche ich meine Zielgruppe 50+ auf das erhöhte Risiko von Gehörschwäche in diesem Alter hinzuweisen. «Sie können einen kostenlosen Hörtest machen und dazu noch tolle Preise gewinnen!» In der Folge habe ich einige beleidigte Blicke und unangenehme Kommentare, wie «Suchen Sie sich doch einen anständigen Job!» abbekommen. Die Rückenschmerzen, die sich nach einem Tag als wandelnde Plakatwand bemerkbar machten, waren auch nicht ohne. Trotzdem habe ich mich auch diesen Sommer wieder für einen Flyer-Job entschieden.
Gegenüber dem Job als promenierende Werbungstafel ist mein aktueller Job, bezüglich der körperlichen Anstrengungen, ein regelrechtes Zuckerschlecken. Für ein Projekt im Naturschutz-Bereich verbringe ich meine Zeit auf Natur- bzw. Wanderwegen und verteile Flyer an die ruhesuchenden Wanderer*innen und Spazierenden. Mein Klientel besteht wiederum vor allem aus älteren Personen, doch dieses Mal ist mein Grund mit ihnen in Kontakt zu treten etwas angenehmer.
Die meiste Zeit sitze ich in der Nähe eines Knotenpunkts von Wanderwegen auf einem Bänkli, lausche dem rauschenden Wasser eines Flusses neben mir und wenn eine Person vorbeigeht, beginne ich mit meinem Sprüchli: «Grüeeezi, daf ech sie schnell störe?» Ich darf mich aber auch von diesen Knotenpunkten wegbewegen und selbst wandern gehen, während ich die Flyer verteile.
Ich bin gerne in der Natur, komme aber im Uni-Arbeitsalltag während dem Semester leider selten dazu und getraue mich auch selten allein wandern zu gehen. Schon öfters hatte ich auf Wanderungen unangenehme Begegnungen mit anderen Wanderern und fühle mich nicht wirklich sicher, allein, als junge Frau. Schon lange wollte ich mich dieser Angst stellen und dieser Flyer-job kam wie gerufen. Die meisten Spazierenden sind freundlich, einige fragen: Sie sy aber nied vo hie, gäued Sie?» sich auf meinen Dialekt beziehend. Andere bersten vor Entrüstung, wenn sie hören, dass das betreffende Projekt von der Universität mitgestaltet wird. Daraufhin laden sie ihren Frust über die Welt auf mir ab und beschweren sich, dass die Uni ein indoktrinierter, elitärer Haufen sei. Wieder andere nutzten mich als Auskunftstafel bezüglich Naturschutzmassnahmen in der Region sowie als wandelnder Wegweiser.
Leider bleiben die Personen, die nicht zu den «Freundlichen» gehören, besonders in Erinnerung. Dazu gehören auch männlich gelesene Personen, die mir etwas zu nahe kommen, wenn ich ihnen erzähle, um was es auf meinem Flyer geht. Die unangenehmsten Erfahrungen mache ich aber in der Nähe von einem inoffiziellen FKK-Strand an einem Fluss. Am ersten Tag meines neuen Jobs möchte ich die Gegend etwas erkunden, weshalb ich flussaufwärts durch den Fluss wate. Ich begegne den ersten nackten Menschen, denke mir aber nichts weiter dabei und bewege mich weiter flussaufwärts.
Immer wieder spreche ich Personen an (ich beschränke mich auf die angezogenen Personen) und kann einige Flyer verteilen. Es sind auffallend viele Männer allein unterwegs und ich bekomme auch den einen oder anderen Spruch ab, wie zum Beispiel: «Willst du nicht lieber ein bisschen bei mir bleiben?» oder «An so einem schönen Tag hast du doch sicher Besseres zu tun als Flyer zu verteilen.» Auf dem Rückweg begegne ich dann auch noch einem mitten auf dem Wanderweg masturbierenden Mann.
Um es kurz zu machen: Bei aller Liebe zur Natur, hat dieser Ferienjob wohl nicht gerade dazu beigetragen, meine Angst vor dem Alleine – Wandern zu schmälern und ich werde mir für den nächsten Sommer wohl einen anderen Job suchen müssen.