Mutmacher 1 – Hochdruck

02. Oktober 2023

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In der Mutmacher-Reihe geht es um inspirierende Initiativen von Studierenden hinter dem Schweizer Tellerrand. Denn: Gemeinsam sind wir stark. Und wir sind mehr, als wir dachten!

Im Rampenlicht heute: Hochdruck.

Eine nachhaltige Zukunft… Es ist etwas, was wir alle wollen. Irgendwie. Irgendwann. Doch wenn wir der Realität ins Auge schauen, merken wir: Nicht alle haben das gleiche Verständnis bezüglich Umsetzung und es besteht die Gefahr, auf den schönen Zukunftsvisionen sitzen zu bleiben. Um einen gewissen Grad an Konkretheit in die Angelegenheit zu bringen, ist eine bunte Gruppe deutschsprachiger Menschen, überwiegend Studierende, mit 10 präzisen Forderungen für Hochschulen aufgekommen.

Alles begann an einer Konferenz zum grossen Thema Umwelt. Es entstand eine Vision: Hochschulen als lebendige Orte der Transformation. Doch es wurde so viel geredet, dass der Tatendrang plötzlich unerträglich wurde. «Weil es so dringlich ist, haben wir entschlossen, konkrete Forderungen zu stellen», sagt Carina, wissenschaftliche Mitarbeiterin und eine treibende Kraft der Initiative in Deutschland. Dies war die Geburtsstunde von Hochdruck.

Die Forderungen sind der Kern der Initiative und sie gelten für alle Hochschulen, die sich hinter sie stellen. Gefordert werden beispielsweise: Verpflichtende Module zu nachhaltiger Entwicklung und Klimanotlage, Credits für Engagement, durchgehend pflanzliche Hauptgerichte in den Mensen bis 2025 und kostenloser ÖV für Studierende und Mitarbeitende. 40% des Hochschulgeländes soll grün und entsiegelt sein, damit Wasser in den Boden sickern kann. Bis Ende 2023 soll der Energieverbrauch von Gebäuden um 25% gesenkt werden und bis 2030 soll die Energie aus 100% erneuerbaren Quellen kommen.

 «Wir fordern, aber wir wollen, dass sich die Hochschulen hinter uns stellen. Wir brauchen diese Transformation und wir brauchen alle dafür.» – Carina, Kernteam Hochdruck

Im Herbst 2022 war die erste «Einreichungswelle» der Forderungen geplant. Das Ziel war es, in ganz Deutschland verteilt Forderungen an Hochschulleitungen zu überreichen. Und dies nicht vom Hochdruck-Team, sondern von den Studierenden, den Mitarbeitenden und den Lehrenden der jeweiligen Hochschulen. Dass die Forderungen aus eigenem Hause kommen, war – und ist bis heute – ein integraler Teil der Strategie.

Während die Einreichungswelle näher rückte, herrschte zunehmend Aufbruchstimmung. Emails schreiben, rumtelefonieren… Studierende, Mitarbeitende und Lehrende kamen an verschiedenen Hochschulen zusammen und bauten denKontakt zu ihren Rektor*innen auf. Es entstanden Ortsgruppen, die sich Gedanken zur genauen Umsetzung der Forderungen an ihrer Hochschule machten. «Der Dialog ist zentral», sagt Carina. «Wir fordern, aber wir wollen, dass sich die Hochschulen hinter uns stellen. Wir brauchen diese Transformation und wir brauchen alle dafür.»

 

Im Oktober 2022 war es dann soweit: Knapp 20 Hochschulleitungen erhielten die Forderungen. Dies mit Folgen: Inzwischen hat sich die Brandenburgische Landeskonferenz der Hochschulpräsident*innen öffentlich hinter die Forderungen gestellt und arbeitet an deren Umsetzung.

Es gibt viele Beispiele, die zeigen, dass die Vision von Hochdruck funktioniert: Die Universität in Mainz bietet seit dem Wintersemester 2022/2023 die interdisziplinäre Ringvorlesung «Visions for Climate» an. Die Universität des Saarlandes und die Universität Tübingen vergeben Credits für ehrenamtliches und gesellschaftliches Engagement. Die Leuphana Universität in Lüneburg ist klimaneutral. Das Mensa-Angebot des Studierendenwerks Berlin ist seit zwei Jahren zu 96 % fleischlos und zu 68% vegan. Und auf dem Umwelt-Campus der Hochschule Trier gibt es Streuobstwiesen, Blumeninseln, Überflutungsflächen, Insektenhotels und Biotop-Managementpläne.

Über die letzten Monate hinweg sind Hochdruck und die damit verbundenen Aufgaben so gross geworden, dass es für das 9-köpfige Kernteam eine Herausforderung ist. Um einen Umgang damit zu finden, machen zwei Teammitglieder eine Fortbildung zum Thema Organizing und Mobilisierung. Könnten sich bald alle Hochschulen im deutschsprachigen Raum hinter die Forderung stellen? «Unsere Schweizer Mitbegründer*innen haben leider gerade keine Kapazität, Hochdruck voranzutreiben», sagt Carina. «In Österreich verzeichnen andere Kampagnen und Organisationen gerade Erfolge, sodass die Einreichungen der Hochdruck-Forderungen verschoben wurden, um die Kapazitäten dort zu bündeln.»

 «Mehr Transparenz mit Bezug etwa auf das Investitionsportfolio von Unis muss jetzt schon möglich sein.» – Anna-Sophie Philippi, Mitarbeiterin an der Filmuniversität Babelsberg

Die grössten Hürden gibt es bei den Forderungen 8, 9 und 10: die Forderung nach paritätischer Besetzung der Gremien (Mitbestimmung der Studierenden), die Forderung nach einer transparenten Finanzierung mit Zweckbindung an Klimaschutz (z.B. beim Bauen) und die Forderung, die Finanzierung von fossilen Strukturen zu stoppen (Divestment). Kleine Schritte sind jedoch möglich. Zum Beispiel können Hochschulen den Einfluss von Drittmittelgeber*innen bei Forschungsprojekten offenlegen. Anna-Sophie Philippi, Mitarbeiterin an der Filmuniversität Babelsberg, sagte kürzlich in einem Hochdruck-Treffen mit der Uni: «Mehr Transparenz mit Bezug etwa auf das Investitionsportfolio von Unis muss jetzt schon möglich sein.» Ein Erfolg diesbezüglich ist, dass internationale Universitäten wie die Boston University und die University of Manchester bereits zugesichert haben, ihre direkten Investitionen in fossile Strukturen zu beenden.

Schlussendlich geht es bei Forderungen 8 – 10 jedoch um das Fundament. Es braucht nicht nur das «Ja» der Hochschule, sondern die Veränderungsbereitschaft der Bildungsministerien auf Länderebene oder der Staatskanzlei. Es braucht neue Gesetze. «Hochschulleitungen und andere Hochschulakteur*innen müssen die Studierenden in ihren Forderungen unterstützen, sich mit ihnen zusammentun und schauen, wie sie die grossen Hebel betätigen können», sagte Carina. Wenn sie etwas erreichen wollen, müssen sich Hochschulen untereinander vernetzen und gemeinsam mit den Studierenden diese strukturellen Veränderungen einfordern.

Im Herbst 2023 ist die nächste Einreichungswelle der Hochdruck-Forderungen geplant. Je mehr Studierende sich daran beteiligen, desto grösser wird das Momentum sein und damit die Wahrscheinlichkeit, die grossen Steine ins Rollen zu bringen.

Und wer weiss, vielleicht werden ja auch irgendwo in der Schweiz die ersten Forderungen überreicht. Irgendwie… irgendwann.

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Falls es du bist, der*die den ersten Stein ins Rollen bringen möchte in der Schweiz, schreibe eine E-mail an Carina: mitmachen@hochdruck.jetzt. Es besteht die Möglichkeit, eine Einreichung an der Uni Bern zu planen oder Hochdruck auf Schweizer Ebene ins Leben zu rufen und andere Unis an Bord zu holen. Mehr Infos: hochdruck.jetzt
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interview: florian rudolph, bilder: hochdruck

Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #33 Oktober 2023

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