Hauptsache gesittet?
Wenn Bürgerliche und Konservative auf Rechtsextremismus reagieren, wirft das meistens Fragen auf. Jüngstes Beispiel: Christian Wasserfallen.
Der Vergleich ist nicht nur geschmacklos, sondern auch brandgefährlich: Einen Tag nach der Erstürmung des US-Kapitols in Washington DC durch einen faschistischen Mob twitterte FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen folgendes: «Grüne & Linke empören sich endlich erstmals über politische #Ausschreitungen […] Erst noch gerade halfen sie dabei, dass der #Bundesplatz tagelang ILLEGAL besetzt wurde. Der Zweck heiligt niemals die Mittel! #lessonlearned?» Der Tweet wurde von Bildern der Bundesplatz-Besetzung durch die Klimastreikenden vergangenen September sowie einem Screenshot der Resultate von Google-Bilder unter dem Suchbegriff «Ausschreitungen Bern». Wasserfallen folgt hier einem von Mitte bis Rechts offenbar äusserst beliebten Diskussionsmuster: Nach einer gewalttätigen Aktion von Rechtsextremist*innen reagieren die bürgerlichen Politiker*innen mit einem formalen «Jede Form von Extremismus ist schlecht.» Damit bedienen sie die abstruse und wissenschaftlich kaum mehr haltbare Hufeisentheorie, wonach links- und rechtsextreme politische Strömungen nicht etwa weit auseinander, sondern vielmehr nahe beieinander liegen, nur um dann eine «gemässigte Mitte» (in der Regel sich selbst) zu beschwören. Diese Form von Argumentation ist jedoch nicht nur faktisch falsch, mit ihr machen sich Bürgerliche vor allem – ob willentlich oder nicht – zu Steigbügelhalter*innen des Faschismus.
Semiotik der Gewalt
Niemand muss Gewalt in Ordnung finden. Über Sinn und Unsinn von politischer Gewalt und Ausschreitungen an Demonstrationen und Kundgebungen lässt sich gut und gerne streiten. Allerdings, um bei Herrn Wasserfallens Beispiel zu bleiben, besteht ein gewaltiger Unterschied zwischen Sachbeschädigungen an einer Demo und dem Stürmen eines Parlaments mit anschliessendem Plündern und Marodieren. Erstes ist ein Angriff auf das Privateigentum, zweites ein Angriff auf die Demokratie. Die Symbolkraft ist dabei nicht zu unterschätzen. Selbstverständlich ist das Recht auf Privateigentum in den meisten demokratischen Ländern durch die Verfassung geschützt. Doch ist es kein wesentlicher Bestandteil der Demokratie. Sie ist denkbar ohne Privateigentum, ohne ihre funktionierenden zentralen Institutionen ist Demokratie jedoch unmöglich.
Dialog vs. Sabotage
Was ist aber mit dem Vergleich zum Klimastreik und der Besetzung des Bundesplatzes? Zugegeben, auch hier ist die Symbolkraft nicht zu unterschätzen. Sie war aber auch eine ganz andere. Erstens wurde nicht das Parlament, sondern der öffentliche Platz davor besetzt, dessen zentrale Funktion gerade darin besteht politische Veranstaltungen zu beherbergen und der das mächtige Parlamentsgebäude denn auch figurativ kontrastiert und ihm einen Raum für das Volk entgegenhält. Zweitens geschah die Besetzung des Bundesplatzes gewaltlos und zu guter Letzt suchten die Klimastreikenden den Dialog mit den Parlamentarier*innen. Gibt es etwas demokratischeres als den Dialog zwischen der Gesetzgeberin und dem Souverän? Zur Erinnerung: In Washington war das Ziel, einen demokratischen Prozess, nämlich die Bestätigung eines Wahlresultats durch die Legislative, zu verhindern. Es zeugt also nicht von einem grossen Verständnis der liberalen Staatstheorie, diese beiden Ereignisse gleichzusetzen. Wer dies trotzdem tut, verharmlost die Gefahr, die von solchen faschistischen Aktionen ausgeht.
«Illegal ist Illegal»
Eine Gemeinsamkeit fand Christian Wasserfallen dann doch noch. In den Kommentaren lieferte er sich eine Auseinandersetzung mit Operation Libero Co-Präsidentin Laura Zimmermann, in deren Verlauf er verlauten liess: «Ich verurteile beide Aktionen, da sie klar illegal sind.» Diese höchst problematische Aussage ist ein Musterbeispiel für bürgerliche Faschismusverharmlosung. Alle Formen von Extremismus seien direkt vergleichbar, denn alle verstiessen gegen Recht und Ordnung. Recht und Ordnung, die nur noch die Mitte und die Bürgerlichen zu verteidigen wüssten. Diese Ansicht lässt völlig ausser Acht, dass sozialer Fortschritt oft durch zivilen Ungehorsam erreicht wurde und die meisten liberalen Staatstheoretiker, auf die sich die modernen Demokratien so gerne berufen, Auflehnung gegen Recht gewordene Ungerechtigkeit als legitim, wenn nicht gar als Bürger*innenpflicht ansehen. Sie lässt ferner ausser Acht, dass sich gerade die extreme Rechte gerne selbst als Hüterin von Recht und Ordnung hinstellt, nur um Chaos und Unordnung zu stiften, sobald es ihr gelegen ist. Das wirklich verstörende an solchen Aussagen ist jedoch die Implikation, dass zur Beurteilung politischen Handelns lediglich die Ausdrucksform an sich relevant ist. Der Inhalt wird nichtig.
Das soll nun nicht heissen, dass der Zweck immer die Mittel heiligt, doch ein lautstark geäusserter Aufruf zur Solidarität oder sich in Sachbeschädigung niederschlagender Unmut auf der Strasse sind der Demokratie allemal zumutbarer als in verhüllende Worte gefasste Menschenverachtung aus dem Mund eines Anzugträgers. Passt der nette Nazi von nebenan eben doch besser ins bürgerliche Idyll als die wütenden Angehörigen des Prekariats? Darf am politischen Diskurs nur noch teilhaben, wer nach den Regeln der Gutbürgerlichkeit spielt, werden immer mehr Stimmen ausgeschlossen. Was bleibt der entrechteten Migrantin ausser der Demo, was den Ausgebeuteten und Geächteten ausser Radau? Was bleibt der minderjährigen Jugend ausser Streiks und Kundgebungen?
Wo steht ihr?
Die Reaktionen von Mitte-Rechts auf rechtsextreme und faschistische Gewalt und deren vorgebliche Verurteilung sind also nichts als eine leere Geste. Durch ihren Verweis auf eine vermeintlich ebenso grosse Gefahr von links, verharmlosen die Bürgerlichen den Faschismus, wie er weltweit im Begriff ist, sich weiter auszubreiten. Durch ihre Konzentration auf das Wie bei gleichzeitigem Ausblenden des Was verengen sie den Diskurs, schliessen kritische Stimmen aus und spielen so den Faschist*innen in die Hände. Bürgerliche und Konservative müssen sich nun folgende Fragen stellen: Wie wichtig ist es uns mit der Demokratie? Reichen uns Profit und gutbürgerliche Lebensentwürfe? Oder wollen wir Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit für alle? Wie ernst meinen wir es mit «nie wieder!»?
Sind Sie bereit, Herr Wasserfallen, dem Faschismus entschieden gegenüberzutreten?
«Ä Lawine vo Rächts brucht ä Hang ider Mitti»
– Tommy Vercetti –