Ein bunter Toleranzraum für alle

Nicht alle Studiengänge bringen ein klares Berufsziel mit sich. Unsere Autorin traf zwei ehemalige Berner Studis, die den Weg in die Kulturbranche gefunden haben: Lee und Momo. Sie erzählen von ihrem Alltag, den Herausforderungen und kleinen Wundern des Kulturlokals Mokka in Thun.
Farbig, wild und voll – so beschreibt man das Mokka in Thun wohl am besten in drei Worten. Das Kulturlokal am Rand der Thuner Altstadt ist ein Ort, der sich Vielfalt und Offenheit gross auf die Fahnen schreibt. Das Programm auf der Webseite ist gefüllt mit den unterschiedlichsten Veranstaltungen: von Lesungen, Jazz, Rock’n’Roll, hin zu Punk- oder Familienkonzerten findet sich ein wilder Mix von Kulturangeboten.
Dies sei ein bewusster Entscheid, so Lee Zbinden, ehemaliger Student der Universität Bern und heute Booker im Mokka. Lee war nach seinem Bachelorstudium mit Hauptfach Sozialanthropologie sehr unsicher, in welche berufliche Richtung es ihn ziehen sollte. Gerade da das Studium einen nicht auf einen «klaren Beruf» vorbereite, sei die Wahl sehr offen und gleichzeitig sehr schwierig gewesen. Während dem Studium jobbte er beim Mokka in der Garderobe und an der Bar auf Stundenlohnbasis und verbrachte dadurch viel Zeit in dieser mit Herzblut geführten Drehscheibe des Musikliebhabers Beat «Pädu» Anliker.
Der 2016 plötzlich verstorbene Geschäftsführer Anliker habe das Mokka unglaublich geprägt, so Lee. Anliker sei bis heute eine Inspiration für den Betrieb. In seinem Andenken werde das Mokka weitergeführt, die Wände und Räume mit ihren Dekorationen erzählen davon. Überall im Haus finden sich kuriose Figuren und Ankleber. Neben der Hauptbühne steht ein grosser Eisbär, in der Küche neben dem Herd ein Hase und die Jungfrau Maria und tausend kleine Comicfiguren zieren das Regalbrett darüber. Das beste Beispiel ist der überdekorierte Backstage: die Wände «zugestickert», ein Ledersofa in der Ecke und ein altmodischer Kerzenleuchter auf der langen Tafel.
Als Sozialanthropologe die Bühne bestücken
Dem Mokka sei es wichtig, eben so bunt wie die Inneneinrichtung, ein buntes und ansprechendes Programm zu bieten, erzählt Lee, der nach dem Bachelorstudium immer tiefer in den Mokka-Dschungel eingetaucht ist. Seit 2022 übernimmt er Verantwortung im Bookingteam und entscheidet mit, welche Acts auf der glitzernd bunten Bühne zu bewundern sind. In dem neu von ihm betreuten Format «Small Town Sounds» gibt das Mokka auch Newcomern eine Bühne.
Heute Abend bin ich zu so einem Konzert eingeladen, es spielt das Trio «Cocon Javel» aus Biel. Er werde öfters darauf angesprochen, ob er denn «irgendwann noch etwas Richtiges» aus seinem Studium machen würde, meint Lee, doch für ihn sei es eben genau das Richtige. Als Booker könne er die Soft-skills aus dem Studium (Recherche, Organisation und das Koordinieren in einem Team) nützlich einsetzen und mit seiner grossen Musikneugier verbinden.
Das Beste an seiner Rolle als Booker sei, dass er sogar schon Bands aus afrikanischen oder arabischen Ländern aufspüren und unter Vertrag nehmen und damit in die Schweiz einladen konnte. Lee ist es ein Anliegen, das Mokka mit möglichst unterschiedlichen Acts zu einem vielseitigen und interessanten sowie internationalen Ort zu machen. Es solle einfach Platz für möglichst viele verschiedene Musikgeschmäcker und Altersgruppen bieten, erklärt mir Lee.
Aus der HKB ins Mokka
An Lees Seite arbeitet Momo, ebenfalls seit dem Studium Teil des Mokka Teams. Sie betreut heute das Instagram des Kulturbetriebs und gestaltet als HKB-Absolventin in Visueller Kommunikation auch ab und an ein Plakat oder einen Flyer. «Ich habe hier die wunderbare Möglichkeit, einen Betrieb weiter zu erhalten, den ich bereits als Kind mit meinen Eltern besucht habe», erzählt mir Momo. Das erste Mal sei sie wohl als Zweijährige hier an einem Familienkonzert gewesen.
Heute setzt sich Momo sowohl im Graphic Design aber auch hinter der Bar dafür ein, dass die Veranstaltungen ein Erfolg werden. «Im Grafikbereich ist es nie leicht, eine attraktive Stelle zu finden, bei der man auch seine Freiheiten hat», so Momo. Hier im Mokka könne sie teils ganz eigene Ideen für grössere Events umzusetzen und sei dabei unglaublich frei, was in ihrem Beruf keine Selbstverständlichkeit sei. Das Beste findet Momo das grosse Plakatarchiv, das in einem Hinterzimmer im Mokka angelegt ist. Daraus ziehe sie immer wieder neue Inspirationen und könne ihre eigene Linie entlang dessen finden, was das Mokka ausmache.
Von Freundinnen, welche das gleiche Studium gemacht hätten, höre sie berufstechnisch auch Beispiele von weniger Freiheit. Wenn man etwa plötzlich bei der visuellen Gestaltung von Plakaten für bestimmte Parteien mitarbeiten müsse, die man nicht unterstützen würde. Eine Freundin habe deshalb sogar die Stelle gekündigt, aber in der Grafiker*innenbranche sei das natürlich ein grosses Risiko.
Oft sitze sie morgens auf dem Badewannenrand für den ersten Post.
Am meisten zu tun gebe der Insta-Account. Und es sei schwer, da Arbeit und leidenschaftlichen Einsatz zu trennen. Oft sitze sie morgens auf dem Badewannenrand für den ersten Post, fast schon ein Automatismus – dann sei es schwer, dies zu den Arbeitsstunden zu rechnen, das sei einfach Commitment.
Zwischen Freiheiten und Sicherheit
Sowohl Lee wie auch Momo arbeiten nicht im Mokka wegen des Geldes, das sei klar. Es sei die Freiheit, die sie in ihren Bereichen hätten sowie das Team, die familiäre Stimmung, die Vertrautheit und der Respekt, der im ganzen Haus herrsche. Das alles mache es aus. Das Mokka ist als Verein organisiert mit einer operativen Geschäftsleitung aus drei Personen. Insgesamt seien die Strukturen sehr flach und es werde viel Wert auf ein konstruktives Miteinander gelegt. Das Mokka sehen Lee und Momo als einen Ort der Offenheit für alle, die sich Kultur zu Gemüte führen wollen.
Trotzdem habe das Mokka seit letztem Sommer vermehrt mit ungewünschten Ereignissen zu kämpfen gehabt. Gruppen von jungen Erwachsenen seien gemeinsam zu Anlässen erschienen und hätten dabei im Schutz der Gruppe angefangen, Gäste zu belästigen. Dies habe dazu geführt, dass man sich dafür habe entscheiden müssen, eine externe Sicherheitsfirma anzuwerben, die in enger Zusammenarbeit mit dem Mokka für eine sichere und gute Atmosphäre sorgen könne. «Unsere Mitarbeitenden sind nicht dafür ausgebildet und an einem normalen Abend haben diese auch definitiv andere wichtige Aufgaben als stets ein Auge auf die Sicherheit im Geschehen zu haben», so Lee. Man hätte nach verschiedenen Testphasen eine gute Lösung mit Sicherheitsangestellten gefunden, die an grösseren Anlässen präsent seien, um zu unterstützen.
«Es ist wichtig, dass sich hier alle wohlfühlen und gerne hierher kommen», meint Momo. Für die beiden jungen Kulturschaffenden Lee und Momo ist das Haus genau das: ein Ort, an dem sich verschiedenste Leute treffen und an dem man einfach eine gute Zeit verbringen dürfen soll, an dem man wertgeschätzt und akzeptiert wird – so wie man halt gerade sei. Auch der selbsternannte «Hausdrache» aka Stammgast Nummer Eins, Michaela Heuer-Toch, beschreibt das Mokka als einen Ort von unglaublichem Respekt: «Die ‘Café Bar Mokka’ steht für Kunst, Kultur und Respekt und hat sich vom Mainstream immer schon abgehoben.»
Das Haus ist genau das: ein Ort, an dem sich verschiedenste Leute treffen und an dem man einfach eine gute Zeit verbringen dürfen soll.
Ohne Subventionen wäre es schwierig
Genau die demonstrative Offenheit des Kulturlokals bringe dem Ort oft einen «linksradikalen» Ruf ein. Im Mokka gelte vor allem anderen das Credo der Vielfalt, doch im bürgerlich orientierten Thun habe das Kulturlokal einen klar linkspolitischen Stempel abbekommen, so Lee. Als es im vergangenen Jahr um die Unterstützungsgelder der Stadt Thun ging, musste das Mokka erst kurz zittern, ob es weiterhin von diesen Leistungen schöpfen dürfte.
Schliesslich hat sich der Stadtrat vom Mehrwert des Lokals als lebendigen Kulturort fast einstimmig überzeugen lassen – mit Ausnahme einer Enthaltung. Mit der Verpflichtung regelmässige Programmangebote auch für ein jüngeres, nicht sehr zahlungskräftiges Publikum und Familien zu machen, wurden dem Mokka weitere Subventionszahlungen von 188’000 CHF bis ins Jahr 2028 genehmigt (Stand 2024).
Showtime
Nach einer umfassenden Hausführung durch die wild dekorierten Räume und dem Interview mit Lee und Momo darf ich am gleichen Abend das Konzert der Band «Cocon Javel» besuchen. Die Band wurde vorgängig von dem Koch – Mario Schlachter, Teil der Geschäftsleitung des Mokkas – mit vegan-vegetarischen Gerichten verköstigt. Er bekocht alle Künstler:innen, die im Mokka auftreten – meist mit einem Dreigänger!
Als das Konzert beginnt, hat es circa 11 Zuschauer*innen im Konzertraum. Doch die drei Newcomerinnen auf der Bühne geben trotzdem alles, fühlen sich in ihre metaphysischen, elektronisch verstärkten und etwas gewöhnungsbedürftigen Harmonien ein. Blau-lila Licht füllt den Raum, etwas Rauch steigt auf. Die Texte teils auf Deutsch teils auf französisch holen das Publikum ab. Aber ausverkauft sieht anders aus, das ist klar. Genau solche Events brauche es eben, meint Lee, um Neues zu entdecken und Nischen zu füllen. Doch genau um solche Abende zu ermöglichen, sind die Subventionen der Stadt unabdingbar, das wird klar.
Nach dem Auftritt stehen die drei Bielerinnen noch hinter einem kleinen Tisch mit Merch, Feuerzeugen mit Aufdruck und Stickern. Man kommt leicht mit ihnen ins Gespräch und sie freuen sich augenscheinlich über alle, die gekommen sind. Ein Sticker von «Cocon Javel» klebt sicherlich schon irgendwo im Backstage, gleichzeitig Erinnerung an Neuanfänge und Weiterführung einer (Haus-)Tradition.
Text und Bilder: Lisa Linder