Sommermoment #21

Illustration: Lisa Linder

13. September 2022

Von

Weshalb Sommerendmomente zum Sommer gehören. Unsere Autorin fährt Zug und fragt sich, ob sie besser die Softshelljacke angezogen hätte.

Ist es kalt, weil es kalt ist oder ist es kalt, weil es warm ist und im Tram deshalb gekühlt
wird?

Verunsichert warte ich, bis wir bei der Wendeschlaufe Ostring losfahren. Ein Unterhemd
habe ich mir unter mein T-Shirt gezogen, darüber meinen roten Faserpelz. In einem
kurzen Anfall der Panik habe ich kurz vor dem Aufs-Tram-Rennen ein Halstuch aus der
hintersten Ecke meines Kleiderschranks gezerrt.

Zwei Menschen sitzen in Jacken in den grauen Polstern. Am Thunplatz steigt eine Frau in
Blumenkleid und Birkenstocks ein, ich atme auf. Doch kann ein Rock zwei Jacken
aufwiegen, eine Shorts zwei lange Hosen, ein paar Sandalen einen Wollschal?

Die Kandelaber sind noch an, an den Haltestellen sind die Wartebänke und neben der
Kirchenfeldbrücke das Bundeshaus beleuchtet. Der Morgen graut und mir fürchtet es. Im
Zug setze ich mich absichtlich neben einen jungen Mann in kurzen, farbig gemusterten
Hosen. Ein Typ in einer Softshell-Jacke platziert sich in unser Abteil, meine Anspannung
steigt wieder. Beim Verlassen des Bahnhof ist die Lorrainebrücke gut sichtbar, es wird
hell und etwas wärmer. Ich stopfe meinen Pulli in den Rucksack und lehne mich zurück.
Ein paar Sommertage werden uns wohl noch vergönnt sein, auch wenn mich der
Bodennebel bei Kirchberg bereits wieder stutzig werden lässt. Sie gehören halt zum
Sommer dazu, die Sommerendmomente.

Als ich am Nachmittag in einem Minergie-Haus mit Glasfassade eine Diskussion darüber
führe, ob es nun mehr hilft, die Fenster zu öffnen oder ebendiese geschlossen zu halten,
damit die Lüftung ihren Job machen könnte, wünsche ich mir den Herbst schon fast
herbei.

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