Auf die Freund*innen-schaft!
Selten reden wir über sie. Weder mit denen, die es betrifft, noch mit anderen. Gerne stellen wir sie hinter romantische Beziehungen. Manchmal lassen wir sie auch mal hängen, wenn anderes wichtiger scheint. Und doch schätzen wir sie. Und wie. Die Freund*innenschaft.
“Hast du eine*n Freund*in? Ach schade, wieso denn nicht?” Diese und ähnlich aufdringliche Fragen werden von Verwandten und Bekannten nur allzu oft gestellt. Der gesellschaftliche Druck, sich in einer romantischen Partner*innenschaft zu befinden, ist hoch. Ansonsten muss man sich an Familienfesten eben ohne plus one mit der Verwandtschaft rumschlagen. Denn eine*n Freund*in würde niemand an den Geburtstag der Grossmutter mitbringen. Aber wieso eigentlich nicht? Weshalb priorisieren wir die romantische Beziehung über alle anderen Formen der Beziehung?
« Eine*n Freund*in würde niemand an den Geburtstag der Grossmutter mitbringen. »
Im Rahmen der Ringvorlesung “Liebe und Freundschaft” vom vergangenen Semester hat Prof. Dr. Sabine Hohl in ihrem Vortrag “Die gesellschaftliche Bevorzugung von romantischer Liebe gegenüber Freundschaft” eben diese Frage aufgeworfen. Sie beschäftigt sich zudem mit den konstruierten Unterschieden zwischen Romantik und Freund*innenschaft und fragt, wie die höhere Wertung der ersteren über zweitere gerechtfertigt sei. Auf den ersten Blick erscheint eine Trennung zwischen romantischer Beziehung und Freund*innenschaft offensichtlich: Sex, Zusammenleben, Exklusivität und Familiengründung sind Begriffe, welche einem*r bei romantischer Beziehung oft als erstes einfallen. Doch schnell stellt sich heraus, dass eine eindeutige Differenzierung zwischen romantischer Beziehung und Freund*innenschaft kaum möglich ist. Wo soll eine Freund*innenschaft + eingeordnet werden, wo eine asexuelle, aber nicht aromantische Partner*innenschaft? Auch die Exklusivität der Monogamie wird zunehmend hinterfragt und Polyamorie offener angesprochen und ausgelebt, weshalb auch dies nicht als Abgrenzungsmerkmal der romantischen Beziehung gewertet werden kann.
Kurz gesagt: die Unterscheidung zwischen romantischen und freund*innenschaftlichen Beziehungen ist bei näherer Betrachtung schwammig und entpuppt sich als gesellschaftlich konstruiert.Die obengenannten Assoziationen mit romantischen Beziehungen sind folglich ebenso menschgemacht, doch werden sie so naturgegeben dargestellt, dass sie kaum als solches Konstrukt fassbar werden. Der von Elizabeth Brake verwendete Begriff “Amatonormativität” bezeichnet die Annahme, dass jeder Mensch eine romantische Beziehung eingehen sollte und will: “Amatonormativity is a word I coined to describe the widespread assumption that everyone is better off in an exclusive, romantic, long-term coupled relationship, and that everyone is seeking such a relationship” schreibt sie auf ihrer Website.[1] Mit dieser Sichtweise werden freund*innenschaftliche Beziehungen abgewertet und in ihrer Existenz unsichtbar gemacht. Dies zeigt sich nicht nur im sozialen Zusammenleben, sondern auch auf den abstrakteren Ebenen des Rechts, wo es einen eigens für romantische Beziehungen definierten Bereich gibt: die Ehe. Die Ehe ist eine maximal heteronormative und patriarchale Institution – hier werden Geschlechterrollen gelebt, Monogamie aufrechterhalten und im häuslichen Rahmen Care-Arbeit verrichtet.
« Die Unterscheidung zwischen romantischen und freund*innenschaftlichen Beziehungen ist bei näherer Betrachtung schwammig und entpuppt sich als gesellschaftlich konstruiert. »
Obwohl in queeren Communities das Bewusstsein für faire Verhältnisse innerhalb romantischer Beziehungen im Allgemeinen erhöht und die Amatonormativität weniger ausgeprägt ist, sind auch hier die gesellschaftlichen Probleme nicht aus dem Weg geräumt. In romantischen Beziehungen, welche in einer Ehe enden, werden die Kinder in einem klar definierten Rahmen aufgezogen und in ein kapitalistisches System hinein sozialisiert – innerhalb der Kernfamilie wird also die kontrollierte Reproduktion der Arbeitskraft ermöglicht. In der traditionellen monogamen Ehe entstehen eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung und Hierarchie. Aus kapitalistischer Sicht besteht also ein Interesse daran, den Status Quo der monogamen Kernfamilie aufrechtzuerhalten, um damit weiterhin kostspielige Care- und Reproduktionsarbeit auf die häusliche Sphäre abzuwälzen. Vorgezeigt wird uns diese erwünschte Lebensweise in diversen Medien, wie Filmen, Serien und Büchern, oder auch in Werbungen oder Games.
Folglich werden romantische Beziehungen von vielen Erwartungen geprägt und eingeengt. Im Gegensatz dazu ist der Begriff Freund*innenschaft lose zu verstehen und kann sowohl Bekanntschaften als auch lebenslange Beziehungen meinen. Eine Freund*innenschaft geht mit einer geringeren Erwartungshaltung einher, die Leben der Individuen werden stärker voneinander abgetrennt (beispielsweise in finanziellen und rechtlichen Bereichen) und die Verpflichtung zueinander nicht so stark betont wie bei romantischen Beziehungen. Zudem wird von Freund*innen nicht erwartet, dass sie als Einzelperson jegliche Bedürfnisse abdecken und Interessen mit einer Person teilen können; so gibt es beispielsweise Freund*innen, mit denen man wandern geht und über die Zukunft spricht, andere, mit denen man einen Spielabend verbringt oder politische Diskussionen führt. All dies soll nicht bedeuten, dass wir die romantische Beziehung abwerten wollen, sondern viel mehr, dass wir ihre Rahmenbedingungen ändern und die Freund*innenschaften aufwerten wollen.
Um Zweiteres zu erreichen, richten wir unseren Fokus nun direkt auf die Freund*innenschaft.
Liebe Freund*innenschaft
Wie geht es dir? Es tut uns leid, dass wir uns schon so lange nicht mehr bei dir gemeldet haben. Aber das hier ist nur für dich. Denn es gibt da etwas, was wir dir schon lange mal sagen wollten: Wir sind sehr beeindruckt von dir.
Andere hätten sich schon lange unterkriegen lassen. Wer würde nicht ab und zu mal eifersüchtig werden, wenn egal ob auf der Familienfeier oder beim Kaffee mit Freund*innen immer nur gefragt wird, wie es um die neuesten romantischen Verirrungen, aber nie wie es um die engen Freund*innen steht? Und wenn es dann heisst: „Ach nein, wir sind doch nur Freund*innen“, könntest du aufschreien: „Was soll das, nur Freund*innen? Ich bin doch mehr als ein nur!“
Andere an deiner Stelle wären schon längst davongelaufen, bei der scheinbar unendlichen Anzahl an Filmen, Serien, Büchern, in denen die romantische Annäherung zweier Hauptprotagonist*innen im Vordergrund steht. Auch wir kennen leider nur wenige Geschichten, wo du mal so richtig im Mittelpunkt stehst und dabei geben wir uns wirklich Mühe, welche zu finden. Und dann erst all diese Liebeslieder: Irgendwie geht es immer ein bisschen um das Gleiche – nur leider so selten um dich! Wir freuen uns mit dir über jedes neue Lied, das rauskommt, in dem es mal um dich geht. Aber ganz ehrlich – wir kriegen nicht so oft die Chance uns zu freuen.
Doch heute möchten wir das Schweigen brechen: Liebe Freund*innenschaft, schön, dass es dich gibt! Mit dir ist so vieles so unkompliziert. Mit dir ist alles möglich. Du gibst uns immer Halt und du bleibst uns immer treu. Dank dir haben wir schon so viele wunderbare Momente erlebt. Ohne dich hätten wir alle ein bisschen weniger umarmt, geliebt und gelacht; wir wären alle ein bisschen kaputter, verlorener und unglücklicher. Deswegen, liebe Freund*innenschaft, möchten wir dir heute sagen: Wir bewundern dein Durchhaltevermögen so sehr. Wie du ohne Wenn und Aber mit hoch erhobenem Kopf immer für uns da bist. Danke, dass es dich gibt – und zwar genau so wie du bist!
Alles Liebe*
Dankbare Freund*innen
* freund*innenschaftliche Liebe. Und die ist gleich viel Wert wie jede andere Liebe! Das sollten wir ja eigentlich nicht extra dazuschreiben müssen. Solange es aber noch nötig ist, nehmen wir diesen Aufwand gerne auf uns.
PS.: Wärst du jemand, der sich beschwert, würdest du nun wohl sagen: „Viele Worte, wenig Taten!“ Deshalb haben wir ein paar Ideen für dich gesammelt. Damit du die Anerkennung und Wertschätzung, die du verdienst, auch bekommst und spürst.
Einige Ideen: How to Freund*innenschaften stärken und pflegen
- Als Freund*innen zusammenleben, egal in welchem Altersabschnitt
- Kinder gemeinsam mit Freund*innen erziehen
- Ferien mit Freund*innen machen
- Nicht jedes Hobby mit romantischen Partner*innen teilen wollen, sondern auch mit Freund*innen
- Romantische Partner*in nicht an jedes Fest und jede Veranstaltung mitschleifen Freund*innen an Feste und Familienfeiern / als +1 mitnehmen.
- Nach Date-Ideen suchen: Dates mit Freund*innen machen
- Zeit reservieren: fixe, regelmässige Treffen organisieren Bewusst Zeit zu zweit nehmen
- Mehr über Freund*innen (-schaften) reden, sich nach Freund*innen anderer Menschen erkundigen
- Mehr Kommunikation: in Freund*innenschaften nach Bedürfnissen fragen
- Filme und Bücher abfeiern, die von Freund*innenschaften erzählen
- Filme und Bücher schreiben, in denen Freund*innenschaften im Zentrum stehen
- Sprachliche Ebene: aufhören zu sagen: “Das ist nur ein*e Freund*in.”
- Liebesbriefe an Freund*innen schreiben
Hast du noch mehr Ideen? Klicke hier um unsere Liste zu vervollständigen.
Quellen:
1 https://elizabethbrake.com/amatonormativity/