Zufriedenheit trotz Abweisung
Die Rekurskommission der Universität Bern befindet sich im Verwaltungsgebäude an der Hochschulstrasse.
Im akademischen Jahr 22/23 wurde keine einzige Beschwerde von der Rekurskommission der Universität Bern gutgeheissen. Das erweckt den Eindruck, es sei aussichtslos, sich gegen Verfügungen der Universität zu wehren. Doch der Schein trügt; Lösungen, mit denen alle Beteiligten leben können, werden auch ohne Gutheissung gefunden.
Wer an der Universität Bern studiert, ist mit grosser Wahrscheinlichkeit früher oder später mit einer an einer Leistungskontrolle erzielten Note unzufrieden. Betrifft diese Unzufriedenheit nicht die eigene Leistung, sondern den Inhalt, den Ablauf oder die Beurteilung der Leistungskontrolle, besteht die Möglichkeit, sich dagegen bei der Rekurskommission der Universität Bern zur Wehr zu setzen. Auch wem mutmasslich zu Unrecht Betrug bei einer Leistungskontrolle vorgeworfen wurde, steht der Weg an die Rekurskommission offen.
Erste Beschwerdeinstanz für Studierende
Die Rekurskommission ist die interne Verwaltungsjustizbehörde der Universität Bern. Beschwerden gegen Verfügungen der Fakultäten und Institute werden in erster Instanz von der Rekurskommission behandelt. Als Verfügungen werden Hoheitsakte bezeichnet, die sich an Individuen richten und ein konkretes Rechtsverhältnis verbindlich regeln.
Gegen Verfügungen des Senats, der Universitätsleitung und ihrer Mitglieder und der Rektorin oder des Rektors muss die Beschwerde hingegen bei der Bildungs- und Kulturdirektion geführt werden. Die Rekurskommission ist für entsprechende Verfügungen nicht zuständig, weil es sinnwidrig wäre, wenn die Rekurskommission als weisungsunabhängige interne Behörde der Universität Verfügungen von den ihr gleichgestellten Organen auf deren Rechtmässigkeit überprüfen würde.
Folglich ist die Rekurskommission für Beschwerden von Studierenden, nicht aber für solche von Angestellten zuständig. Studierende sind jedoch nicht die einzige Personengruppe, welche sich an die Rekurskommission wenden kann. Wenn eine Person zum Beispiel ihren Hund in der Tierklinik der Universität Bern behandeln lässt und die Rechnung für die Behandlung nicht fristgerecht begleicht, wird ihr eine Kostenverfügung ausgestellt. Gegen diese Verfügung kann sich die*der Verfügungsadressat*in bei der Rekurskommission zur Wehr setzen.
In den letzten fünf Jahren überwogen die Beschwerdeentscheide betreffend Studierenden mit 85 Prozent jedoch deutlich. In besagter Zeitspanne wurden inklusive den Beschwerden betreffend Kostenverfügungen bei der Rekurskommission 84 Beschwerdeverfahren erledigt.
Männliche Kommissionsmitglieder in deutlicher Überzahl
Die Rekurskommission setzt sich aus fünf Angehörigen der Universität zusammen, die durch den Senat gewählt werden. Gegenwärtig sind vier der fünf Mitglieder der Rekurskommission männlich. In Anbetracht des Umstandes, dass der Frauenanteil der Studierenden der Universität Bern im Herbstsemester 2023 bei 59 Prozent lag, ist diese Zusammensetzung wenig repräsentativ. Der Präsident der Rekurskommission, Prof. em. Thomas Koller weist darauf hin, dass dies nur eine Momentaufnahme sei. In früheren Jahren seien mehr Frauen Mitglieder der Rekurskommission gewesen.
Die Zusammensetzung der Rekurskommission ist mit dem Wahlprozedere verknüpft. Das Vorschlagsrecht für die jeweiligen Mitglieder der Rekurskommission liegt beim Mittelbau, der Studierendenschaft (SUB) und den Fakultäten. Der Senat folge in aller Regel der Wahl der Vorschlagbehörde, womit die Förderungsmöglichkeiten von Frauen in der Hand entsprechender Behörden liegen, so Koller.
Neue studentische Vertretung
Nebst den grossen Fakultäten und den Assistierenden steht auch den Studierenden eine Vertretung in der Rekurskommission zu. Diese Aufgabe nimmt seit diesem Januar Florian Stuber wahr. Er studiert Rechtswissenschaften an der Universität Bern.
Die Chance, nun in einem judikativen Gremium mitwirken zu dürfen, schätze er, so Stuber. Bislang konnte er bereits Erfahrungen im Studierendenrat, das heisst der Legislative der SUB, sammeln. In den drei Jahren, in denen er inzwischen schon im Studierendenrat sei, habe er davon sehr profitieren können.
Obwohl er in der Rekurskommission, anders als im Studierendenrat, nicht nur die Interessen der beschwerdeführenden Studierenden vertreten könne, werde er sich bemühen, die Fälle aus der Sicht einer studierenden Person zu beurteilen, versichert der Masterstudent. Für ihn sei es nämlich wichtig, dass gerade in einem Gremium wie der Rekurskommission, welche vor allem Beschwerden von Studierenden beurteile, eine Vertretung der Studierenden mitwirke und ihren Blickwinkel aktiv einbringe.
Eine gründliche Abklärung braucht Zeit
Ein Verfahren der Rekurskommission dauert sechs bis acht Monate. Für Studierende, die beispielsweise auf einen Entscheid warten, ob sie ihr Studium weiterführen können, bedeutet das eine Wartezeit von fast zwei Semestern.
Koller begründet die lange Dauer mit dem Erfordernis des doppelten Schriftenwechsels zwischen den Parteien. Zuerst werde die Beschwerde der Fakultät zur Vernehmlassung zugestellt, worauf die Erwiderung der beschwerdeführenden Person (Replik) folge. Darauf nehme die Fakultät erneut Stellung (Duplik). Allein dieser Schriftenwechsel dauert vier bis fünf Monate. Verkürzen lasse sich diese Frist kaum, denn, «die Fakultäten brauchen für die Stellungnahme genügend Zeit für Abklärungen, besonders, weil die Vernehmlassung zu Beschwerden – zum Glück – nicht zum Tagesgeschäft der Fakultäten gehört.» Es sei wichtig, dass die Sachverhaltsabklärung als erster Verfahrensschritt sorgfältig durchgeführt werde, betont Koller. Nach dem Schriftenwechsel arbeite er als Präsident der Rekurskommission zusammen mit der juristischen Sekretärin der Rekurskommission, Eva Lötscher-Jaggi, einen Antrag, eine Art Urteilsentwurf, aus. Der Antrag müsse den übrigen Mitgliedern der Rekurskommission dann rund zwei Wochen vor der Sitzung zugestellt werden, damit sich diese ausreichend mit dem Fall auseinandersetzen können. Nur so könne dieser Urteilsentwurf an der Sitzung als Diskussionsgrundlage dienen. Kurz nach der Sitzung der Rekurskommission werde in der Regel die schriftliche Entscheidausfertigung versandt.
«Prüfungen sind kein Markt, auf dem Studierende mit Dozierenden über jeden halben Punkt verhandeln können.» – Prof. em. Thomas Koller, Präsident der Rekurskommission
Auf die Frage, ob das Verfahren nicht abgekürzt werden könnte, indem die Fakultäten den Studierenden von sich aus, unabhängig von einem Rekursverfahren, entgegenkommen würden, reagiert Koller skeptisch. Ein Einspracheverfahren bei den Fakultäten ist für Koller zwar nicht undenkbar, der erfahrene Jurist rät aber zur Vorsicht: «Allein das Einspracheverfahren würde um die sechs Monate dauern. Wenn danach noch Beschwerde bei der Rekurskommission geführt würde, zöge sich der gesamte Prozess erheblich in die Länge.»
Koller weist jedoch darauf hin, dass es den Studierenden, obwohl es kein Einspracheverfahren gäbe, offensteht, direkt und rechtzeitig das Gespräch mit den Fakultäten zu suchen. Offensichtliche Fehler bei der Prüfungskorrektur etwa liessen sich auf diesem Weg gut beheben, meint Koller und ergänzt: «Prüfungen sind aber kein Markt, auf dem Studierende mit den Dozierenden über jeden halben Punkt verhandeln können.»
Unangemessenheit ‒ ein chancenloses Vorbringen
Wie durch Koller bereits angetönt, haben Beschwerden inhaltlicher Art einen schweren Stand. Vor der Rekurskommission können nur Rechtsverletzungen und die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts im Zusammenhang mit Leistungskontrollen geltend gemacht werden, nicht aber die Unangemessenheit. Ob eine Prüfung zum Beispiel zu streng bewertet wurde, kann damit grundsätzlich nicht durch die Rekurskommission beurteilt werden. Diese Regelung des Universitätsgesetzes hängt mit den universitären Strukturen zusammen, erklärt Koller: «Die Qualitätsverantwortung liegt bei den Fakultäten. Es liegt damit in ihrer Verantwortung, sicherzustellen, dass keine Studierenden durchgewinkt werden, die den Stoff nicht beherrschen. Die Rekurskommission kann diese fachkompetente Beurteilung nicht vornehmen.»
Kaum Erfolgschancen
Von den 84 Beschwerden, die in den letzten fünf Jahren bei der Rekurskommission eingegangen sind, wurden gerade einmal drei Beschwerden gutgeheissen. Für Studierende mag das entmutigend klingen.
Koller wendet jedoch ein, aus wenig gutgeheissenen Beschwerden könne auch abgeleitet werden, dass die Universität in der Tendenz gut funktioniere: «Viele gutgeheissene Beschwerden wären alles andere als positiv für die Universität.»
Dass sich eine Beschwerde an die Rekurskommission nicht lohnt, weil kaum Beschwerden gutgeheissen werden, ist eine zu undifferenzierte Annahme: In 16,5 Prozent der in den letzten fünf Jahren behandelten Fälle kam es nämlich zu einer sogenannten Unterziehung. Das bedeutet, dass die Verfügung, mit der die*der Studierende nicht einverstanden war, durch die Fakultät zurückgenommen wurde und eine für die*den Studierende*n günstigere Verfügung ausgestellt wurde.
Werden die Gutheissungen und Unterziehungen zusammengezählt, ergeben sich 20,3 Prozent aller Beschwerden, die für die beschwerdeführenden Personen als Erfolg zu werten sind.
In den letzten fünf Jahren wurden mit 39,3 Prozent weit über ein Drittel aller Rekurse durch die Beschwerdeführenden zurückgezogen. Koller zufolge kann der Rückzug von Beschwerden verschiedene Motive haben. Teilweise holen sich die Studierenden Rat und sehen dadurch während des Verfahrens ein, dass ihre Beschwerde aussichtslos sei. Oft erfolge der Rückzug durch die*den Beschwerdeführende*n nach der Vernehmlassung, selten auch erst nach der Duplik: «Nach der Vernehmlassung durch die Fakultät wird vielen Studierenden klar, wo das Problem lag. Sie ziehen ihre Beschwerde zurück, weil sie mit der Argumentation der Fakultät letztendlich doch einverstanden sind», erklärt Koller.
«Von 84 Beschwerden sind nur drei gutgeheissen worden.»
Wer verliert, zahlt
Unterliegt die beschwerdeführende Person, muss sie 300 Franken Verfahrenskosten bezahlen. Dieser Betrag sei, genau wie die 50 Franken, die im Fall eines Rückzugs der Beschwerde bezahlt werden müssen, bei weitem nicht kostendeckend und damit lediglich symbolisch, stellt Koller klar: «Die Justiz muss nicht gratis sein, aber die Risiken, die mit dem Rekursverfahren verbunden sind, müssen tragbar sein und die Kosten damit nicht prohibitiv.»
Wenn die Beschwerdeführenden eine anwaltliche Vertretung beiziehen und die Beschwerde dennoch abgewiesen wird, fallen weitaus höhere Kosten an. Diese Parteikosten der berufsmässigen Vertretung werden bei einer Gutheissung der Beschwerde ersetzt. Doch selbst da sei es möglich, dass nicht alle Kosten gedeckt seien, warnt Koller.
Nicht zwingend das Ende
Im Falle einer Abweisung der Beschwerde durch die Rekurskommission besteht die Möglichkeit, die Beschwerde an das Bernische Verwaltungsgericht weiterzuziehen. In den letzten fünf Jahren wurde jedoch nur insgesamt fünfmal von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht, und durchwegs ohne Erfolg. Dies könnte an den teils hohen Kostenvorschüssen liegen, welche das Bernische Verwaltungsgericht verlangt, vermutet Koller. Angesichts der grossen finanziellen Belastung im Fall eines Unterliegens und den geringen Erfolgsaussichten bei der höheren Instanz, werden viele Studierende auf einen Weiterzug verzichten. Zu einer Beschwerde vor Bundesgericht kam es in den letzten fünf Jahren nur zwei Mal. Auf diese ist das Bundesgericht jedoch nicht eingetreten, weil die Prozessvoraussetzungen jeweils nicht erfüllt waren.
text und bild: noëlle schneider
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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #36 Mai 2024
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