Vom Sexismus in Spitälern und einer Initiative, die CLASHt.

CLASH Bern hat gerade den Prix Lux von Rektor Christian Leumann erhalten. Mit dem Preis in der Hand: Anuschka Arni. (bild: Sandro Arnet)

21. Dezember 2023

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Wie hast du dich vor deinem ersten Praktikum gefühlt? «Machtlos» ist die Antwort von  Anuschka Arni, Gründungsmitglied bei der Berner Fraktion von CLASH – einem schweizerischen Kollektiv gegen Sexismus und Sexuelle Belästigung in Spitälern. Doch die Machtlosigkeit zu überwinden, ist komplex.

Mutmacher #2: CLASH
In der Mutmacher-Reihe geht es um inspirierende Initiativen von Studierenden hinter dem Berner Tellerrand. Denn: Gemeinsam sind wir stark. Und wir sind mehr, als wir dachten! Im Rampenlicht in dieser Ausgabe: CLASH – Collectif de Lutte contre les Attitudes Sexistes en milieu Hospitalier

 

Angenommen, du assistierst als Praktikantin bei einer Untersuchung und plötzlich sagt ein dir vorgesetzter Arzt: «Michel kennt sich gut mit Vaginas aus, jede*r würde gerne von Michel gefingert werden.» Oder du bist im Pflegepraktikum und ein Patient, den du gerade rasierst, sagt: «Sie müssen nicht so zimperlich sein bei der Gesichtsrasur, sie sind ja sicher geübt, oder rasieren sie Ihren Intimbereich etwa nicht?»  Was würdest du tun?

Wahrscheinlich würde es dir erstmal die Sprache verschlagen (besonders wenn es die Realität ist, wie bei den beiden genannten Beispielen). Danach könntest du es entweder mit dir selber verhandeln und bestenfalls in einem gedanklichen Mülleimer entsorgen, oder du wehrst dich. Wenn du dich für die zweite Option entscheidest, wirst du merken: Sich zu wehren, ist gar nicht so einfach.

Eine Studie der National Academy of Medicine aus Washington zeigte, dass 45 % der Studentinnen in der Medizin Opfer von Belästigung wurden, verglichen mit 25 % in Ingenieurwissenschaften und 17 % in Naturwissenschaften. Inzwischen ist vielen Medizinstudierenden das Problem bekannt. Anuschka Arni, Gründungsmitglied und Vorstand bei CLASH Bern beschreibt ihre Gefühle vor dem ersten Praktikum wie folgt: «Die Atmosphäre, die in vielen Spitälern vorherrscht, ist von starken Hierarchien geprägt. Du hast also Angst, dich zu wehren, da die Qualität der Ausbildung und die späteren Karrierechancen darunter leiden könnten.»

Vom Schweigen und  Schweigenlassen

2021 wurde in Genf eine Studie veröffentlicht, die Zeug*innenaussagen zu 34 Belästigungsvorfällen enthielt. Die Studie war das Resultat einer Umfrage unter Medizinstudierenden zwischen dem zweiten und sechsten Studienjahr an der Universität Genf. Die grosse Mehrheit der gemeldeten Belästigungen waren verbaler Natur, doch Belästigungen können auch nonverbaler oder physisch sein. Es gab auch einen Vorfall, bei dem ein Student begrabscht wurde und in einem anderem Fall berichtete eine Studentin, dass ihr Vorgesetzter ihr unangenehm nahe kam. Von den Personen, die auf die Umfrage antworteten, hatten bis dahin 84 % über den Vorfall Stillschweigen gewahrt. Die Verfasserinnen der Studie vermuten ausserdem, dass auch ihnen sehr wahrscheinlich Vorfälle nicht gemeledt wurden. Denn dazu brauche es Mut.

Die grosse Frage, die sich stellt: Warum passieren solche Belästigungen? Und warum braucht es Mut, sich zu wehren?

«Die Atmosphäre, die in vielen Spitälern vorherrscht, ist von starken Hierarchien geprägt.»

Möglicherweise finden sich die Gründe bei den in  Spitälern vorhandenen Machtgefällen und bei der Intimität der Arbeit. Hinzu kommt, dass Praktikant*innen Schwierigkeiten haben, im Team Fuss zu fassen, da sie alle 1-2 Monate die Stelle wechseln. Letzten Endes steckt hinter dem Schweigen oft ein Gefühl der Machtlosigkeit, wobei das Schweigen die Machtlosigkeit verstärkt. Doch haben betroffene Personen nicht viele Handlungsoptionen? Annina Burgherr ging in einem bsz-Artikel bereits letztes Jahr die Möglichkeiten der von Übergriffen betroffenenen Spitalpraktikant*innen durch:

Erste Option: Sich an die Direktion des Spitals wenden. Viele Betroffene, insbesondere Praktikant*innen, haben davor Angst, da die verantwortliche Person meistens schon länger im Betrieb arbeitet und so bei Vorgesetzten mehr Vertrauen geniesst. Immerhin wurde der oder die Verantwortliche ja von der Direktion eingestellt. Besonders erfahrene Ärzt*innen haben für Spitäler ausserdem einen grossen monetären Wert. Dies könne Institutionen dazu bewegen, beschuldigte Personen zu schützen, so swissinfo. Und das wiederum stärkt deren Machtposition.

Zweite Option: Eine E-Mail an die zuständige universitäre Stelle senden. Dies ist zwar möglich, bringt aber leider wenig. Rechtlich kann die Universität gegen die externen Lehrbetriebe nicht vorgehen und verweist oft auf Option 1.

Dritte Option: Sich an die neutralen Schlichtungsstellen oder spezifische Anlaufstellen für sexuelle Belästigung wenden. Sicherlich können sie helfen? Die Antwort ist Jein. Viele Betroffene schrecken vor einer Meldung zurück, da sie Angst davor haben, ihre Anonymität zu verlieren. Und damit wären wir wieder beim Anfang des Problems: Die Macht- und Hierarchiegefälle in Spitälern, welche die Angst, sich zu wehren, schüren und Grenzüberschreitungen möglich machen.

Dem Sexismus an den Kragen – von Lausanne nach Bern

Die Idee, gegen Sexismus in schweizer Spitälern vorzugehen, findet ihren Anfang 2018 in Lausanne: Während zwei Medizinstudentinnen gerade ihr Praktikumsjahr absolvierten, erzählten ihnen Studienkolleginnen wiederholt von Sexismusvorfällen und Belästigungen, welche sie während ihren Praktikas in medizinischen Einrichtungen erfahren hatten. Es waren diese Erzählungen, die zum Entschluss führten, einen Verein zu gründen und sich dagegen zu wehren: CLASH war geboren.

Ein wichtiger Meilenstein war das Einrichten einer Hotline. Hier konnten sich Zeugen und Opfer von Sexismus und sexueller Belästigung melden – und können es noch heute: Die Hotline ist Dienstags und Donnerstags von 17 bis 20 Uhr besetzt. Die gemeldeten Vorfälle werden zwar nicht verfolgt, aber dafür garantiert die Hotline Anonymität und bietet Unterstützung. Jede Meldung sei wichtig, so Anuschka, da sie zur Sichtbarkeit von Sexismus und sexueller Gewalt im Spital- und Unialltag beitrage.

In Form von regionalen Fraktionen breitete sich CLASH auch in andere Städte aus: Fribourg, Genf, Lugano, Zürich… 2022 gelangte die Initiative nach Bern. Lena Woodtli, die mit Anuschka Arni CLASH Bern mitgründete und ebenfalls im Vorstand ist, erzählt über die Anfänge: «Bei KRIME, den kritischen Medizinstudierenden, gab es bereits 2020 eine Arbeitsgruppe, die eine Meldeplattform auf die Beine stellen wollte. 2 Jahre später kam schliesslich der Vorschlag, auch in Bern eine CLASH-Gruppierung zu gründen.»

So bildete sie sich CLASH Bern aus den KRIME-Treffen heraus und wuchs. Inzwischen engagieren sich 7 Student*innen. Eine Meldeplattform, bei welcher Betroffene und Zeug*innen Vorfälle melden können, steht kurz vor der Vollendung. Und Kampagnenarbeit ist an der Tagesordnung. Es gehe darum, sichtbar zu werden, sagt Anuschka. Einen besonderen Erfolg feierte die junge Gruppe, als sie diesen November mit dem Prix Lux der Universität Bern ausgezeichnet wurde.

«Wir wollen über Symptombekämpfung hinauswachsen und uns dafür einsetzen, dass es grundsätzlich zu weniger Grenzüberschreitungen kommt.»

 

«Das Preisgeld ermöglicht es uns, mehr Menschen zu erreichen», sagt Lena. Geplant sei zum Beispiel eine Plakatkampagne. «Wir möchten die Menschen erreichen, durch die es zu Grenzüberschreitungen kommt. Es geht darum, zu einem gemeinsamen Verständnis zu kommen, was okay ist und was nicht.» Auf der anderen Seite möchten sie aber auch zukünftige Praktikant*innen stärken und das Thema effektiv in die Lehre integrieren. Kommunikationstrainings seien dafür eine gute Möglichkeit, sagt Lena und ergänzt:  «Wir wollen  über Symptombekämpfung hinauswachsen und uns dafür einsetzen, dass es grundsätzlich zu weniger Grenzüberschreitungen kommt.»

Wird CLASH Medizinstudierenden zukünftig mehr Sicherheit geben? Für Anuschka bietet das Engagement bei CLASH bereits jetzt einen Perspektivenwechsel: «Den aktuellen Strukturen gemeinsam Widerstand zu leisten und sie nicht als Gegeben zu akzeptieren, gibt mir sehr viel. Für mich ist es die beste Option, die ich im Moment sehe, um Angst und Machtlosigkeit anzugehen.»

text: florian rudolph

Ein Poster der Sensibilisierungskampagne von CLASH Genf. Illustration: Emma Serafin (insta: @emse_bd)

 

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Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #34 Dezember 2023

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