«D’Chälbli striichle»: Von der Konditorin mit Landliebe zur Bäuerin mit Fachausweis
Während viele junge Menschen für Studium, Arbeit und Weiterbildungen in die Stadt ziehen, zieht es Elin aufs Land. Sie hat sich entschieden, die bäuerlich-hauswirtschaftliche Weiterbildung in Pfäffikon zu absolvieren – eine Ausbildung, die scheinbar an Attraktivität gewinnt – vor allem bei jungen Frauen.
Es ist noch früh am Morgen, als Elin und ihre Mutter mich abholen. Ich bin zurück im Ort, an dem ich aufgewachsen bin: Im Kanton St. Gallen an der Grenze zum Kanton Thurgau. Elin ist im selben Quartier wie ich aufgewachsen. Während ich in die Stadt Bern gezogen bin, ist sie heute in der Landwirtschaft tätig.
Auf der einen Seite der Wohnung meiner Eltern beginnt das Land des nächsten Bauernhofes und dahinter das nächste und das nächste; es ist ein wunderschöner Flickenteppich aus Wald, Feld und Gehöften über sanften Hügeln. Auf der anderen Seite des Quartiers liegt eine Kleinstadt, ein regionales Zentrum mit ca. 17’000 Einwohner*innen. Ich bin auf beiden Seiten dieser Wohnung grossgeworden. Sowohl Stadt als auch Land haben für mich immer dazugehört, und doch scheint es Unterschiede in der jeweiligen Lebensmentalität zu geben. Doch, wie gross sind die Unterschiede wirklich?
Eine wegweisende Liebe
Als ich im Frühling per Zufall Elin wiedertreffe und sie mir erzählt, dass sie im Herbst die Bäuerinnen-Schule besuchen wird, schreibe ich ihr noch am selben Abend eine Nachricht – ich habe Fragen. Was ist das für eine Schule? Warum entscheiden sich junge Frauen – und auch einige wenige junge Männer – eine Ausbildung zur Bäuerin oder zum bäuerlichen Haushaltsleiter zu machen? Was lernt man da? Wir verabreden uns zum Kaffee, zum Abendessen und schlussendlich zum Ausreiten.
Seit ich Elin kenne, ist sie ein Pferdemädchen. Die Liebe zu den grossen Vierbeinern verband uns und in der Primarschule wurden wir schnell gute Freundinnen. Nach der Sekundarstufe trennten sich unsere Wege, sie lernte Konditorin und ich ging aufs Gymnasium. Seither haben wir uns selten gesehen. Im Gespräch erzählt sie mir, dass sie nach der Lehre die Berufsmatur gemacht hat – ohne konkretes Ziel. Als Konditorin gab es für sie praktisch keine Weiterbildungsmöglichkeiten. Die endgültige Entscheid für die Ausbildung an der bäuerlichen Haushaltsschule sei dann sei dann durch die Liebe gefallen. Einerseits zu den Pferden, den Tieren, dem Land und der Natur und andererseits zu Sandro, einem jungen Bauernsohn.
Elins Pferd, Mississippi, lebt im nächsten Dorf, auf dem Hof, auf dem Elin seit fast 15 Jahren reiten darf. Elin und ihre Mutter besuchen ihn jeden Tag; sie wechseln sich ab. Heute nehmen sie mich mit. Zuerst fahren wir dorthin, wo vor zwei Jahren alles begonnen hat, in einem anderen Stall, zu einem anderen Pferd. Sein Name ist Euro und ich darf ihn heute reiten. Genau wie damals ist Euros Familie jetzt in den Sommerferien. Damals wie heute hat Elin sich um das Pferd gekümmert und hat so die ältere Dame, die dort wirtschaftet, kennengelernt. Diese war begeistert von Elin und schmiedete den Plan, sie mit einem Bauernsohn zu verkuppeln. Sogleich kam ihr der älteste Sohn einer befreundeten Familie des Dorfes in den Sinn – Sandro. Und dann die Gelegenheit: ein Geburtstagsfest, zu dem auch Elin eingeladen war. Während wir Euro vorbereiten, erzählt Elin lachend von ihrer ersten Begegnung mit Sandro. Es sei unglaublich peinlich gewesen, denn alle haben über die Pläne Bescheid gewusst. Darum haben Elin und Sandro kein Wort miteinander gewechselt und das erhoffte Kennenlernen blieb aus. Bis zum Osterfest: Im Ausgang mit Freundinnen sieht Elin Sandro wieder und spricht ihn an, er sei doch der vom Geburtstag. Und dabei bleibt es auch an diesem Abend. Erst beim nächsten Fest, am gleichen Wochenende, laufen sie sich wieder über den Weg. Und ab da habe man sich getroffen – sie zuckt verlegen mit den Schultern – “Es hat halt irgendwie gepasst”. Durch Sandro kommt sie noch stärker mit der Landwirtschaft in Kontakt. Er ist Ende zwanzig und wird den Hof seiner Eltern übernehmen, das steht für ihn fest. Und auch für Elin kam alles zusammen: «Auf einmal war diese Zukunft da. Ich hätte gerne Kinder und Familie und ich fühle mich nicht eingeschränkt durch die Bedingungen, die ein Hof mit sich bringt, im Gegenteil! Und damit sind wir auch sehr privilegiert. Das trifft nicht auf alle zu.»
« Auf einmal war diese Zukunft da. »
Eine Ausbildung zur Hausfrau?
Auf die Weiterbildung an der Bäuerlich-Hauswirtschaftlichen Schule ist sie durch ihr Umfeld gestossen. Eine Kollegin ihres Freundes hat ihr zum Spass gesagt: «Das könnten wir doch zusammen machen!» Ein weiterer Einfluss sei ihre Oberstiftin gewesen, die auszubildende Konditorin ein Jahr über ihr, die ebenfalls an die Hauswirtschaftsschule ging. Diese konnte selbst Essiggurken machen, sie konnte nähen: Alles Dinge, die auch Elins Mutter und Grossmutter gut können – «Nur ich nicht!», sagt sie lachend. «In der Ausbildung lerne ich genau das: einen Garten unterhalten, einkochen für den Winter…Ich wusste: Das will ich auch können.» Die ein- bis zweijährige Weiterbildung ist berufsbegleitend.
« Ich wusste: Das will ich auch können. »
Arbeiten kann sie auf dem Betrieb der Familie ihres Freundes: Praxisorientiert, das gefällt Elin. Sie vergleicht die Weiterbildung mit der Lehre zum Landwirt oder zur Landwirtin, die drei Jahre dauert. Diese werde meistens von jungen Männern absolviert und sei weniger haushälterisch veranlagt. Doch Elin findet nicht, dass sie eine Ausbildung zur ‘Hausfrau’ macht: «Das klingt doof, so abschätzend. Ich lerne viel über den Betrieb, eigentlich alles, ausser Ackerbau. Und das mit den Maschinen lerne ich alles nach und nach auf dem Hof.» Ausserdem hat man mit der Ausbildung Anspruch auf Subventionierung und kann auch selbst als Ausbildner*in tätig sein, sowie weitere Weiterbildungen absolvieren. Immer mehr junge Menschen scheinen sich dafür zu entscheiden. Im letzten Jahr erwarben 122 Frauen und 1 Mann den Fachausweis Bäuerin (für Frauen*) oder bäuerlicher Haushaltsleiter (für Männer*). Die bäuerlich-hauswirtschaftliche Fachschule bereitet ihre Studierenden auf diese Fachprüfung vor. Allein dieses Jahr gäbe es eine Klasse mit etwa 26 neuen Studierenden an der Fachschule in Pfäffikon – das freute auch die ältere Generation, sagt Elin, und erzählt von jemandem, der meinte: «Es gibt wieder junge Leute!»
Auf dem Stundenplan stehen landwirtschaftliches Recht, Buchhaltung und Betriebslehre sowie Ernährung, Gartenbau, Gesellschaft und Familie, Haushaltsführung, Reinigungstechnik und Textilpflege. Eine Professionalisierung von Kochen, Waschen und Putzen? Ich merke, wie abschätzig ich unbewusst selbst über diese Tätigkeiten denke. Es ist halt das, was man (oder frau) eben nebenher noch macht – unterschätzt und nicht wertgeschätzt und steht im Gegensatz zu ‘richtiger’ Arbeit oder ‘richtiger’ Ausbildung. Auch ich hadere mit diesen Denkmustern, sehe eine strahlende, selbstbewusste junge Frau vor mir und war in erster Sekunde überrascht, dass sie Bäuerin werden möchte, dass es das überhaupt zu Lernen gibt.
Und doch zeigen mir die Gespräche mit ihr: ‘Nur’ Haushalt ist dieser Beruf und dieses Leben eben doch nicht. Der Haushalt gewährleistet, dass der Betrieb reibungslos funktioniert. Im Zentrum davon stehen das Wissen über Gesundheit, Produktion und Haltbarmachen von Nahrungsmitteln, Instandhaltung von Gebäuden, Gegenständen, Utensilien, die für einen nachhaltigen Betrieb unabdingbar sind. Es sind familiäre und betriebliche Kommunikation, Streitschlichtung, aktives Zuhören, die ein Zusammenleben erleichtern, in welchem Berufliches und Privates kaum getrennt werden können: Alles Fähigkeiten, die mir unglaublich wichtig und unglaublich unterschätzt erscheinen.
Zwischen Landei, Stadtkind und Zukunftsmusik
Mittelwege finden Und doch, sagt Elin: «Es sei schon ein bisschen das Klischee, die Stereotypen, und das sei schon ein grosser Unterschied zur Stadt. Obwohl die Weiterbildung offiziell nicht Bäuerinnen-Schule, sondern bäuerlich-haushälterische Schule heisst, absolvieren ihn vor allem junge Frauen, während die Männer die Lehre als Landwirten absolvieren.» Die Rollenbilder seien stärker ausgeprägt als in der Stadt: der Haushalt der Frau und der Betrieb dem Mann. Da spüre sie schon Unterschiede in der Mentalität und weiss manchmal nicht, wo sie sich positionieren kann oder soll. «Auf dem Land fühle ich mich wie ein Stadtkind und in der Stadt wie ein Landei.“
« Auf dem Land fühle ich mich wie ein Stadtkind und in der Stadt wie ein Landei »
Bezüglich einer unterschiedlichen Mentalität spricht sie auch rassistische oder homophobe Äusserungen an, die immer wieder fallen. Es werden problematische Begriffe oder Sachverhalte unreflektiert reproduziert, welche sie so nicht teilt oder teilen möchte. Wenn sie etwas dazu sagt, werde sie meistens nicht gehört. Ich frage sie, woran das liegen könnte. Sie denkt kurz nach. Dann meint sie: «Wenn die Eltern und das ganze Umfeld schon immer so geredet haben und niemand davon irritiert ist, dann ändert sich nichts auf einmal, nur weil jemand das sagt.» Ein Grund sieht sie auch in einer gewissen Angst vor dem Unbekannten. «Weisst du, wir sind mit Kindern unterschiedlicher Herkunft zur Schule gegangen, unsere Stadt ist grösser. Ich glaube, vielen Leuten hier hat dieser Austausch gefehlt. Ich habe auch als Konditorin mit vielen Menschen aus vielen Kontexten gearbeitet, das fand ich mega bereichernd. Aber viele hier haben das noch nie erlebt.»
Mittlerweile haben wir auf unserem Ausritt den Wald hinter uns gelassen und traben über offene Feldwege. Es ist fast schon kitschig idyllisch. Ruhig und frisch, noch früh am Morgen, es riecht ein bisschen nach Regen. Die Welt scheint sich hier langsamer zu drehen. Ich frage sie nach ihren Lieblingstätigkeiten auf dem Hof. Elin lacht und sagt: «D’Chälbli striichle.» Die seien so süss und sie könne sich richtig Zeit nehmen. Mittlerweile wird sie überschwänglich begrüsst, wenn sie die Box betritt. Und Traktorfahren fände sie super. «Allgemein kommt es mir nicht wie Arbeit vor. Ich stelle immer Fragen und dann lerne ich alles im Tun. Am Morgen weiss ich noch nicht, was heute alles ansteht, es kommt auch aufs Wetter an. Und dann ist es immer etwas Neues.
« Allgemein kommt es mir nicht wie Arbeit vor. »
Ausserdem finde ich es toll, dass meistens alle zusammen sind, zusammenarbeiten, dass man zusammen zu Mittag isst.» Das wünscht sie sich auch für ihre Zukunft: «Die Kinder können so direkt von beiden Elternteilen involviert werden. Wir hatten echt Glück, dass für uns beide klar war, dass wir das so von seinen Eltern übernehmen möchten.» Sie erzählt weiter, dass diese Vorstellung nicht bei allen Pärchen so harmoniert und der elterliche Hof doch oft eine Bedingung der Beziehung sei. Das habe sie bei einer Bekannten miterlebt, die gerne Lebensmitteltechnologie studiert hätte und sich nicht vorstellen konnte, den Hof der Familie ihres Partners mitzubewirtschaften. Das habe zur kurzzeitigen Trennung geführt, unter der beide sehr gelitten haben. Elin habe dann ein Gespräch mitbekommen, in dem jemand ihrer Bekannten sagte, dass sie unbedingt studieren solle, da sie viel zu intelligent sei für den Bauernhof. Elin sei danebengestanden und habe sich gefragt: «Was soll das denn heissen? Bin ich etwa zu blöd für alles andere?» Sie fände diese Perspektive falsch und auch die Perspektive Bekannten habe sie als einschränkend empfunden. Elin sagt dazu: «Weisst du, wie viele Familienväter jeden Tag nach Zürich pendeln für ihre Jobs? Wieso sollte sie das nicht auch können, während ihr Mann den Hof bewirtschaftet? Wenn es Hilfe braucht, muss man halt schauen, wie das möglich wäre. Man muss schauen, ob man einen Mittelweg finden kann.»
Die Biene Maja
Als wir die Pferde zurück zum Stall bringen, gehen wir noch kurz in den Kuhstall der Familie. Dort stellt mir Elin Maja vor, ein Kalb, das vor drei Wochen geboren wurde. Es steht auf scheinbar zu langen Beinen wackelig auf dem hellen Stroh und blickt uns aus grossen Augen verwundert an. Maja ist scheu heute, wahrscheinlich, weil ich dabei bin. Elin macht Videos und verschickt sie an Freunde. «Ich habe langsam zu viele Fotos und Videos von ihr. Sie wurde in der ersten Woche meiner Arbeit hier geboren und ich durfte ihren Namen aussuchen. Ich mochte Maja, wie die Biene Maja.» Ich bewundere Elin für die Ungezwungenheit, mit der sie die Welt um sich herum betrachtet und beobachtet. Sie scheint verliebt, in die Tiere, ihre Pferde und das Leben, welches sich vor ihr ausbreitet. Ich bin dankbar für ihre Offenheit und ihre Ehrlichkeit in diesen Treffen und wünsche ihr von Herzen alles Gute zum Ausbildungsstart.