Sommermoment #23

Illustration: Lisa Linder
Hatespeach vom Grossvater gegen die Geflüchteten erster Klasse – ein Gespräch zwischen Generationen und Perspektiven.
Ich habe beschlossen, dass es mal wieder an der Zeit ist, mich bei meinem Grossvater zu melden. Vor einer Weile hat es sich nämlich so eingependelt, dass wir uns alle zwei oder drei Monate zum Abendessen treffen und ein bisschen quatschen. Wir treffen uns am späten Nachmittag irgendeines Julitages. Der Himmel ist bedeckt, das Wetter schwül und wir setzen uns draussen an einen kleinen Tisch. Wir wählen jeweils abwechslungsweise das Restaurant aus. Dieses Mal war ich an der Reihe. Ich hab mich für das Restaurant entschieden, in welchem ich vor Kurzem noch gearbeitet habe. Nun komm ich nur noch mit ihm hierher, da es eigentlich nicht in meiner Preisklasse liegt und es nur wenige vegetarische Angebote gibt. Meine Schwester meint, hier würden sich vor allem Möchtegern-Snobs aufhalten, die gerne kultiviert tun. Ich komm gern hierher, weil ich genau das so spannend finde – wie eine kuriose Parallelwelt. Wir stossen an und besprechen das Übliche. Ich erzähl, was es so Neues gibt, und er haut die alten Geschichten von früher raus, einen Klassiker nach dem andern: «Weisst du damals, als ich mit diesem Politiker zu Mittag gegessen habe…» oder, «als ich diesen Kunden ins Boot holte…» und «ja diese Dankeskarte als ich pensioniert wurde…». Ich mag die Geschichten. Manchmal stell ich mir dann vor, wie es sich anfühlen wird, wenn ich in seinem Alter sein werde und weniger vor mir liegt als hinter mir. Werde ich auch mehr über die Vergangenheit nachdenken und sprechen als über das, was noch kommt? Welche Momente werden rückblickend die wichtigsten sein? Welche Geschichten werde ich wohl meinen Grosskindern erzählen? Dann kommt mir in den Sinn, dass ich wahrscheinlich keine Kinder haben will und ich frag mich, wem ich die dann sonst erzähl.
Draussen wird es langsam dunkel. Irgendwann kommen wir auf die «aktuelle Situation» zu sprechen – den Ukraine-Krieg – und ich verschluck mich fast beim nächsten Bissen als er von der kleinen Familie erzählt, die er und meine Grossmutter bei sich aufgenommen haben. Es ist eine junge Frau und ihr zwölfjähriger Sohn. Mein Grossvater regt sich auf. «Fast nichts haben die mitgenommen, aber unglaublich teure Schminke, das kann ja wohl nicht so wichtig sein», meint er empört. Er und meine Oma hätten denen die Umgebung gezeigt, aber die würden lieber am Handy rumhängen und den ganzen Tag rumtelefonieren, statt was zu unternehmen. Am meisten störe ihn der unterschiedliche Lebensrhythmus – gerade jetzt in den Ferien. «Und wie die kochen… immer nur Nudeln und Cervelats» entsetzt sich mein Grossvater, der leidenschaftlicher Sportler und Gesundheitsfanatiker zu sein pflegt(e). Der Junge esse kaum was und wisse das nicht wertzuschätzen, wenn da jemand für einen koche. Und putzen würden die auch nicht, jedenfalls nur so das Gröbste, nur was oberflächlich erkennbar sei und den Rest liessen sie einfach sein. Das habe er auch schon von anderen Leuten gehört. Und so weiter und so fort. Und er sei ja schon froh, dass die nun bald wegziehen würden. Dreieinhalb Monate wären ja immerhin schon eine lange Zeit. Und ich nick und schluck runter und denk mir nur so: Das wird wohl einer dieser Momente, einer der mir bleibt.
Ich erinnere mich zurück an den Moment, in dem ich erfuhr, dass meine Grosseltern beschlossen hatten, ukrainische Geflüchtete aufzunehmen. Damals hatte ich so ein ungutes Gefühl, aber erst jetzt kann ich das richtig einordnen. Ich bin enttäuscht, aber nicht überrascht. Letztendlich steckt vielleicht hinter jedem Karitas-Gedanken ein bisschen Selbstprofilierung. Und wieder einmal wird mir bewusst, wie wichtig es ist, die eigenen Motivationen und Erwartungen zu reflektieren.