Danke, Endo

Endo, ein Prophet in der Kulturwüste. Foto: Michael Schär

04. März 2022

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Endo ist tot. Erinnerungen an einen Menschen, der wie kein anderer die Stadt mit seiner Lebenslust und Wehmut durchdrungen hat.

Endo Anaconda hatte eine Bühnenpräsenz, die sich übersprudelnd über die ganze Stadt, ja bis ins Emmental ausdehnte. Man traf ihn des Öfteren irgendwo in Bern an und das allein war eine kleine Anekdote, die man am Abend gerne erzählte. Ich kannte Endo nicht persönlich und doch nahm ich ihn wie einen alten Bekannten wahr, wenn ich ihn in der Stadt sah.

Seine Musik begleitet mich fast ein Leben lang – das erste Konzert erlebte ich als Kind auf den Schultern meines Vaters an einer Demo auf dem Bundesplatz, das letzte vor einem halben Jahr vor der Mühle Hunziken. Und jedes Mal, wenn ich ihn sah, lief seine Musik ein paar Tage wieder auf und ab und ich musste noch nach dem hundertsten Mal Hören wegen irgendeiner wunderbar verrückten Textzeile laut loslachen. Eine meiner liebsten: «Dr allerletscht düregheit Fliederwädel hei die Bsoffnige abgschrisse.» Fragt mich nicht, wieso.

Alle hatten eine kleine Geschichte über Endo zu erzählen. Es scheint jede*r Dritte irgendwann einmal in der Cuba Bar, im Pyri oder – wenn es ganz spät wurde – im Dead End mit ihm zu tun gehabt zu haben. Manche dieser Geschichten muten fast surreal an. So erzählte mir ein Bekannter, dass er Endo vor Jahren mitten in der Nacht aufrecht in seinem Cabrio stehend, wie ein Cowboy in den Steigbügeln, vorbeirasen gesehen habe.

Endo hatte eine Bühnenpräsenz, die sich bis ins Emmental ausdehnte.

Andere Anekdoten sind weniger schmeichelhaft. Da ist etwa der Beizer, der mir nach Jahren noch mit freudiger Empörung erzählte, dass Endo einmal betrunken in seiner Gartenwirtschaft nach Whiskey geschrien habe. Nicht wenige mögen sich an diesem polternden Querulanten gestört haben.

Foto: Michael Schär

Ein Engel war Endo sicher nicht. Eine Stimme in der Kulturwüste war er definitiv, auch wenn er nicht wie Johannes der Täufer von Heuschrecken und wildem Honig lebte, sondern von Bratwurst, Gin Tonic und Zigaretten. Die Askese war nicht sein Ding, doch eine Röhre hatte er wie jeder Prophet vor ihm. Er trug auch kein Büsserhemd, sondern einen Anzug und schwarzweisse Oxfordschuhe wie ein Südstaatenblueser am Sonntag. Oder dann war er nackt, bis auf eine leere Packung Parisienne Jaune am Penis und tanzte wie ein Sonnengott durch die Altstadt. Das behauptete er jedenfalls in einer seiner Kolumnen.

Lebenslust und Weltschmerz

Ja, zuweilen war Endo ein richtiger Bacchus mit einem Riesenappetit in jedem Lebensbereich. Er hatte unzählige Liebschaften, Freund*innen, Feinde, Kinder, Fans, endlose Nächte und nicht enden wollende Tage – und die schwärzesten Augenringe diesseits vom Napf. Er trug eine Sonnenbrille, weil man ihm den bösen Blick nachsagte. Er bekreuzigte sich vor jedem Konzert, obwohl man ihm im katholischen Internat den Glauben ausgeprügelt hatte. Er war ein stures, zähes Rindvieh, das überraschend grazil über die Bühne tänzeln konnte.

Da war einer, der so todtraurig die Liebe zum Leben besingen konnte.

Und durch all diese Selbstinszenierung und Selbstoffenbarung, diese Wesenszüge, Legenden, Konzerte, Lieder und Texte zog sich eine anrührende, tiefe Wehmut. Eine melancholische Sehnsucht nach dieser einen Umarmung, die tatsächlich Heimat bedeutet und nicht bloss das nächste Gefängnis ist; diesem einen Kuss, der sich nicht als Biss herausstellt; diesem einen Schluck, der tatsächlich den Durst löscht und nicht einfach den nächsten Kater einläutet.

Vielleicht wird mir das am meisten fehlen, dass da einer war, mitten unter uns, der so todtraurig und wunderschön die Liebe zum Leben besingen konnte.

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