Binäre Realitäten und queere Toiletten

Eine gesetzliche Regelung besagt, dass geschlechtergetrennte Räume weiterhin angeboten werden müssen (Foto: Yena Kwon).

03. März 2022

Von

Wie die Uni mit Nonbinarität umgeht, ist am Beispiel der Unisex-Toiletten gut aufzeigbar. Eine Balance zwischen Inklusion, Schutz und der Verhinderung von Diskriminierung zu finden, gelingt dabei nicht immer.

Eine der ersten Informationen, die wir über Menschen in Erfahrung bringen, ist das Geschlecht. Unsere Realität ist nach wie vor binär, also von den Zuschreibungen «weiblich» und «männlich» geprägt. Auch in der Sprache sind solche Bezeichnungen fest verwurzelt, obwohl die Wissenschaft längst bewiesen hat, dass sowohl das soziale als auch das biologische Geschlecht Spektren sind. Sind binäre Bezeichnungen und Beschriftungen zum Beispiel bei WC-Anlagen also noch gerechtfertigt?

Viele (gender)queere Menschen – so bezeichnen sich alle, die sich nicht heteronormativ verordnen – fordern Alternativen und wehren sich gegen die bestehenden Strukturen. Dazu gehören auch nonbinäre Menschen, die sich in den Kategorien «Frau» oder «Mann» nicht repräsentiert sehen. Trotzdem verhaften wir noch in einer durch und durch binären Realität. Wie verhält sich die Universität Bern in diesem Spannungsfeld?

«Natürlich wäre es schön, wenn wir unser Gegenüber zuerst als Menschen betrachten würden und nicht gleich als Männer und Frauen, begleitet mit allen stereotypen Vorannahmen», so Fabienne Amlinger, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Interdisziplinären Zentrum für Geschlechterforschung (IZFG), «aber davon sind wir weit entfernt».

Das binäre Denken von Geschlecht sei spätestens seit der Französischen Revolution tief in unserer Gesellschaft verankert. Dieses Denken in binären Kategorien zu überwinden, sei ein schwieriger Prozess, auch wenn sich uns Geschlecht derzeit hie und da etwas fluider präsentiert. Strukturell gesehen ist die Geschlechterbinarität aber nach wie vor die dominante soziale Realität, erklärt Amlinger.

Wie die Universität mit Nonbinarität umgeht

Die Universität Bern muss sich als öffentliche Institution mit Hürden aufgrund des Geschlechts auseinandersetzen. «Ein Problem sind die fehlenden Lösungen für den administrativen Umgang mit non-binären Personen», erklärt Ursina Anderegg, wissenschaftliche Mitarbeiterin in der Abteilung für Gleichstellung. An der Universität können die Leute momentan nur binär erfasst werden – Alternativen zu «Mann» und «Frau» gibt es keine.

«Es wäre schön, wenn wir unser Gegenüber zuerst als Menschen und nicht gleich als Männer und Frauen betrachten würden.»

Das ist insbesondere für internationale Studierende und Angestellte problematisch, etwa aus Deutschland, wo eine dritte Option im Pass möglich ist. Hier müssen sie sich dann aber als Mann oder Frau an der Uni einschreiben. «Da warten wir auf Lösungen beim Bundesamt für Statistik oder bei der nationalen Gesetzgebung», meint Anderegg. Momentan wird auf Bundesebene über die Einführung eines dritten Geschlechts diskutiert.

Im Sommer 2022 wird eine Antwort des Bundesrats auf Vorstösse erwartet. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, inwiefern das Geschlecht als Kategorie im Pass oder in einer Universitätsregistrierung überhaupt relevant ist. Schliesslich gibt es genug andere Informationen, die einen als Person ausweisen.

«Menschen, die von Diskriminierungen betroffen sind, brauchen Schutzräume», findet Fabienne Amlinger.
(Foto: Vera Köpel)

Neben administrativen Hürden, die beseitigt werden müssen, können auch Dozierende ihren Beitrag zu einer gendersensiblen Universität leisten. Dies geschieht bereits durch eine mehrheitlich gendergerechte Sprache. Allerdings könnte in diesem Rahmen noch mehr verändert werden.

So fragt Fabienne Amlinger in ihren Kursen im Rahmen der Vorstellungsrunde nach dem Pronomen der Teilnehmenden. Das könne auch gut im Alltag integriert werden. «Es ist lediglich eine Frage, doch sie ist wichtig, um das Gegenüber in seiner Identität zu respektieren», erklärt die Geschlechterforscherin.

Unisex WC-Anlagen im vonRoll-Gebäude

Ein weiterer Bereich, in dem die Universität mit dem Anliegen nonbinärer Menschen konfrontiert ist, sind die WC-Anlagen. Für Menschen, die sich nicht einreihen können oder wollen, ist das sehr schwierig. Wenn nicht gerade Pandemie ist, befinden wir uns oft in öffentlichen Räumen, Restaurants oder Kinos. Wenn nonbinäre Menschen an diesen Orten ein WC aufsuchen, wird unter Umständen blöd geschaut oder kommentiert.

Das Unisex-Label kann jedoch auch Probleme mit sich bringen.

Obwohl eine gesetzliche Bestimmung besagt, dass geschlechtergetrennte Anlagen nach wie vor angeboten werden müssen, werden Unisex-WCs vermehrt diskutiert. Die Umwidmung von binären WC-Anlagen zu Unisex-Räumen, die für allezugänglich sind, könnte Diskriminierung vermeiden und wird deshalb vermehrt angestrebt.

Das Unisex-Label kann jedoch auch Probleme mit sich bringen. So ereigneten sich aufgrund fehlender Geschlechtertrennung an der Uni Bern schon Diskriminierungen, die sonst womöglich nicht zustande gekommen wären.

Die WC-Anlagen im vonRoll-Gebäude sind heute binär geschlechtergetrennt beschriftet. Doch das war nicht immer so. Als das Gebäude 2013 neu eröffnet wurde, waren von Anfang an einige Toiletten als all-gender-Anlagen konzipiert. Das Projekt sollte als progressiver Vorstoss Inklusion fördern.

Bloss wenige Wochen nach der Eröffnung ereigneten sich auf den Anlagen jedoch übergriffige Vorfälle. Ein Mann filmte Frauen in den Kabinen und die Story wurde dann relativ zeitnah von 20 Minuten publiziert. Die progressive Idee endete in einem Fiasko und es wurde entschieden, die WC-Anlagen wieder nach binärem Geschlecht zu trennen. Das Beispiel zeigt, dass genderneutrale Infrastrukturen ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringen.

Schutzräume

Was auf den Unisex-Anlagen im vonRoll-Gebäude geschah, verdeutlicht, dass neben dem Bedürfnis nach gender-neutralen Räumen auch eines nach Schutzräumen existiert. Solche Räume seien für alle Menschen wichtig, die von Diskriminierung betroffen sind, erklärt Amlinger. Das Problem der Unisex-Toiletten sei ein räumliches.

Im vonRoll-Gebäude waren die all-gender-Anlagen so konzipiert, dass mensch durch langgezogene Räume zu den Pissoirs gelangte und dafür an den geschlossenen Kabinen vorbeilaufen musste. So durchquerten keine Leute die Pissoirs, wiederum ein Bedürfnis vieler Menschen mit Penis. Allerdings waren die Kabinen zur besseren Luftzirkulation oben und unten nicht geschlossen, was das Filmen erst möglich machte. Wenn die Architektur der Toiletten nicht allen Sicherheit gewährleisten kann, verbessern Unisex-Label die Situation also nicht unbedingt.

«Die Toilette ist ein sehr intimer Ort, gesellschaftlich und emotional stark aufgeladen.»

«Mir sind viele Fälle von sexualisierter Gewalt auf binären Toiletten bekannt, die von Cis-Männern ausgeübt wurden», führt Amlinger aus, «deswegen ist die bauliche Beschaffenheit bei Toiletten ein wichtiges Thema.»

Die Diskussion zeigt das gesamte Spannungsfeld der Thematik auf, in der verschiedene Bedürfnisse aufeinandertreffen. «Die Toilette ist ein sehr intimer Ort, gesellschaftlich und emotional stark aufgeladen», so auch Ursina Anderegg. Denn obwohl genderneutrale Räume gefordert und gefördert werden, stellt sich die Frage, welchen Mehr- oder Minderheiten welche Sicherheit gewährt werden muss.

Sprich: Viele Menschen fühlen sich in binär getrennten Anlagen vor Übergriffen geschützt, wie sie sich 2013 ereigneten. «Einfach alle Toiletten als all-gender-Anlagen zu konzipieren, ist deshalb keine Lösung und gesetzlich auch nicht zulässig», so Anderegg. «Es kommt immer darauf an, wo sie sich befinden und wie sie ausgestaltet sind».

Herausforderungen der Umwidmung

Nach dem gescheiterten Versuch im vonRoll wurde im Herbstsemester 2021 ein neuer gestartet, diesmal im Unitoblergebäude. Dort widmete die Theologische Fakultät alle Toiletten bis auf zwei zu genderneutralen Räumen um. Bei diesem Pilotprojekt wurde das Rollstuhl-WC mit einem Wickeltisch ausgestattet, so dass auch Väter ihre Kinder in Zukunft problemlos wickeln können. Ausserdem wurde die Beschriftung der Geschlechtertrennung entfernt, die Anlagen sind nun bloss noch mit «WC» angeschrieben, so dass alle sie benutzen können.

Inklusive WC-Beschriftung im theologischen Institut (Foto: Mara Hofer).

Das Projekt muss noch ausgewertet werden, bisher habe es aber keine negativen Rückmeldungen gegeben, so Ursina Anderegg. Das Ganze scheine sehr gut zu funktionieren. Es handelt sich hierbei jedoch um eine weniger anspruchsvolle Ausgangslage: Die meisten Anlagen werden von Leuten aus umliegenden Büros genutzt, sie kennen sich und sehen sich oft.

Zudem traten schon davor alle Geschlechter durch eine Tür ein, dahinter befanden sich einzelne, binär getrennte Kabinen. «Da ist die Hürde, sich umzugewöhnen, wohl ein bisschen kleiner als bei einer sehr stark öffentlich frequentierten Anlage», meint Anderegg.

«Wichtig ist, dass die Menschen vor Ort die Veränderungen mittragen.»

Die Sensibilität der Leute für Gender-Themen erleichtere die Umwidmung von Anlagen enorm. Wenn im Umfeld wenig Wissen über die Geschlechtervielfalt und die damit zusammenhängenden Diskussionen vorhanden sind, kann schon eine neue Beschriftung eines an sich seit je her genderneutralen Rollstuhl-WCs als Provokation aufgefasst werden.

«Wichtig ist, dass die Menschen vor Ort die Veränderungen mittragen», erklärt Anderegg. Erst so könne Inklusion funktionieren. «Skeptische Leute werden erkennen, dass die Welt nicht untergeht, wenn es all-gender-WCs gibt», ist die Gleichstellungsbeauftragte überzeugt.

Die optimale Beschriftung

Oft finden sich auf öffentlichen WC-Anlagen die typischen Piktogramme von
Figuren mit Rock oder Hose, «Fraueli» und «Männli». Diese sind auch ungeachtet der
Binarität sehr problematisch und stereotyp. In den Toilettenanlagen des ehemaligen
Kinos Alhambra, das von der Uni Bern für Vorlesungen genutzt wird, findet sich das Piktogramm einer Person, die zur Hälfte einen Rock und zur Hälfte eine Hose trägt.

Auch an der Uni Basel scheint solch eine Beschriftung mehrheitsfähig zu sein. Obwohl das Klischee problematisch ist, bringt es einen entscheidenden Vorteil mit sich. Denn wir sind uns Piktogramme gewohnt, sie erleichtern die Orientierung.

Dem Thema sollte mehr Aufmerksamkeit und Energie entgegenbracht werden.

Die optimale Anschrift gibt es nicht. Bei den Beschriftungen von all-gender-Anlagen verhält es sich wie mit deren grundsätzlicher Einführung. Ob und wie eine genderneutrale Anschrift angebracht wird, ist situationsabhängig. Im Unitobler wurden die Anlagen mit «WC für alle» in Deutsch, Französisch und Englisch beschriftet. Wenn aber nur ein WC-Symbol angebracht wird, führt dies oft zu Unklarheiten und Verwirrung. Deswegen wird oft nur noch angegeben, was wirklich drin ist: Pissoir, Kabine, Wickeltisch und ob der Raum rollstuhlzugänglich ist.

Gegenwart und Zukunft

Laut Ursina Anderegg ist die Gestaltung von gendergerechten Räumen ein rollender Prozess. Die Uni Bern befasse sich seit längerem vermehrt mit der Thematik und momentan laufen verschiedene Projekte. Das Bedürfnis nach all-gender-Anlagen wurde in den letzten Jahren vermehrt geäussert, sowohl von Einzelpersonen als auch von Instituten und Gruppierungen. Die SUB erstellte dementsprechend einen Leitfaden für die Einführung geschlechtsneutraler Toiletten. Das ist gut, aber nicht gut genug. Dem Thema sollte mehr Aufmerksamkeit und Energie entgegenbracht werden. Denn obwohl theoretisch über Geschlecht unterrichtet und geforscht wird, finden sich nur wenige Beispiele praktischer Umsetzung vonseiten der Universität. Schlussendlich geht es nicht nur um Toiletten und Rockpiktogramme, sondern vor allem um unser alltägliches Miteinander, sei das in Kursen oder in der Mensa. Und da besteht definitiv noch Luft nach oben.

0 0 votes
Article Rating
Abonnieren
Benachrichtige mich zu:
0 Comments
Inline Feedbacks
View all comments