Zürich – Prishtina, Retour
Das Kino Armata ist aus der Kulturszene in Prishtina nicht mehr wegzudenken. (Foto: zvg)
Einen Dialog über Kultur und Menschlichkeit zu ermöglichen ist das zentrale Anliegen des Regisseurs Ilir Hasanaj. Mit dem Kino Armata in Prishtina schaffte er einen Ort, der diesen Dialog mit den Mitteln der Kunst, Kultur und Bildung ermöglicht.
Der Dokumentarfilm Me Dasht Me Dasht Me Dasht nimmt uns mit auf eine Reise von Zürich über Belgrad nach Prishtina und wieder zurück. Wir begegnen dabei einem bunt zusammengewürfelten Kollektiv von Kunstschaffenden, die unter dem Leitmotiv «Woran glaubst du?» auf dieser Reise ihre Projekte verwirklichen. Wir sind dabei wenn sie trinken, rauchen und diskutieren; einander nahekommen oder sich nicht ausstehen können; bis zur Erschöpfung an ihren Kunstprojekten arbeiten; immer wieder über sich hinauswachsen und manchmal am liebsten alles hinschmeissen würden.
Wir sind hautnah dran, wenn Edona und Arbër, trotz einer tiefen Liebe, die sie verbindet, keine Beziehungsform finden können, die ihnen beiden gerecht wird. Oder wenn Genc, der Bruder des Regisseurs, der in der Schweiz in einer zähen Orientierungslosigkeit zu versinken droht, sich auf das Wagnis einlässt und mit auf die Reise geht.
Mit empathischem Blick
Der Einblick, den der Regisseur Ilir Hasanaj uns durch seine Filme ermöglicht, ist ein direkter, roher, manchmal schmerzhaft naher. Seine Filme lassen nicht zu, dass man sich in eine distanzierte Beobachtungsrolle zurückzieht. Man ist mitten im Geschehen und insbesondere nah bei den Charakteren, die in all ihrer Einzigartigkeit Raum einnehmen dürfen. Denn Hasanajs Blick auf die porträtierten Menschen bleibt bei aller Direktheit und roher Nähe immer ein zutiefst empathischer.
Dies wird spätestens bei seinem aktuellen Film As I Was Looking Above I Could See Myself Underneath deutlich. In diesem begegnen wir Menschen, die aus verschiedenen Gründen im streng konservativen Geschlechter- und Sexualitätsverständnis, das im Kosovo immer noch weit verbreitet ist, auf Ablehnung, Diskriminierung, ja unverblümten Hass stossen.Wenn wir in Me Dasht Teil einer sprühenden, dynamischen Bewegung waren, so nimmt uns Ilir Hasanaj hier in die unfreiwillige Isolation von Menschen mit, die entgegen traditioneller Gendernormen einfach sich selbst sein wollen und dafür von einer brutalen Welt hart bestraft werden. Wir erfahren von der Sehnsucht nach Anerkennung gleichermassen wie von der Wut über das Unverständnis über die natürlichste Sache der Welt: einen Menschen des eigenen Geschlechts zu lieben.
«Sein neuster Film ermöglicht uns von der Gesellschaft an den Rand gedrückten Menschen persönlich zu begegnen.»
Und immer wieder erfahren wir vom Mut, den diese Menschen aufbringen, sich trotz aller Ablehnung dennoch treu zu bleiben. Denn der Film bringt uns in Kontakt mit Menschen, die nach all dieser Feindseligkeit dennoch ihr Gesicht zeigen und Farbe bekennen. So erlaubt uns dieser Film, Menschen persönlich zu begegnen, die von der Gesellschaft an den Rand gedrückt und unsichtbar gemacht werden; Menschen, die trotz oder gerade wegen den Zeichen, die ein solches Unrecht an ihnen hinterlässt, eine Schönheit ausstrahlen und durch ihren Einsatz im Privaten aber gerade auch durch diesen Film nicht zulassen, dass eine hässliche Welt das letzte Wort hat.
Vom Dokumentarischen zum Dialog
Ilir Hasanaj, der mit sieben Jahren aus dem Kosovo in die Schweiz fliehen musste, weiss aus eigener Erfahrung, wie es ist, in mehreren Welten zuhause zu sein. Er kann vom Stereotyp des Kosovaren erzählen, der in der Schweiz an einen herangetragen wird und dem man selbst mit perfektem Schweizerdeutsch und bewusst entgegengesetztem Verhalten noch verhaftet bleibt. Er kennt das eigenartige Privileg, sich in der Welt frei bewegen zu können, während andere mit ähnlichem Hintergrund grossen Einschränkungen unterworfen sind, weil sie den falschen Pass haben. In diesem spannungsvollen Bereich der Identität, Kultur und Politik, in dem eindimensionale Antworten nicht mehr greifen, sind die wichtigsten Motive seiner Filme anzusiedeln. Er selbst bleibt dabei meist im Hintergrund. Er lässt die Menschen und ihre Lebenswelt für sich sprechen.
Im Falle seines aktuellen Filmes treten Angehörige der LGBTQ-Community im Kosovo das erste Mal in diesem Ausmass in den Fokus der Berichterstattung. Das immense Vertrauen, das nötig ist, um sich in solcher Öffentlichkeit zu zeigen, entsteht nach und nach im Gespräch zwischen dem Regisseur und den Porträtierten. Im ehrlichen Austausch über die Absicht des Projekts kann so ein Raum entstehen, in dem eine Persönlichkeit erfahrbar wird. Diese Zusammenarbeit verlässt dabei beizeiten das rein Dokumentarische und die Porträtierten erscheinen in geheimnisvollen, ästhetisch durchkomponierten Szenen.
Bei aller Direktheit wird nie Objektivität suggeriert. Der Regisseur ist sich seines Blickes, der die Einstellungen durchwirkt, bewusst und geht konstruktiv damit um. Und so wird der Mensch hinter der Kamera, der meist unsichtbar bleibt, in den filmischen Mitteln spürbar und das Dokumentarische entpuppt sich als Dialog. Diesen Dialog im weitesten Sinne zu ermöglichen ist das eigentliche Anliegen seiner Arbeit. Es ist ein offenes Gespräch, woran teilzunehmen nicht nur die Zuschauer*innen, sondern die ganze Gesellschaft ermuntert wird.
Ein kultureller Brückenbauer
Es erstaunt daher nicht, dass Hasanajs Engagement nicht auf die Filmproduktion beschränkt bleibt. im Rahmen von Kino Kosova hat er mit verschiedenen kosovarischen Filmschaffenden Podiumsdiskussionen durchgeführt. Kino Kosova ist ein Projekt, das sich dem kulturellen Austausch zwischen dem Kosovo und der Schweiz verschrieben hat. Dabei wird Raum für aktuelle Filme aus dem Kosovo und der Diaspora geschaffen, um so auch die vielschichtige Beziehung dieser zwei Länder zu thematisieren. Die Filmschaffenden konnten in diesem Rahmen in die Schweiz reisen, ihre Filme vorstellen und einem breiteren Publikum zugänglich machen.
Dem Publikum hingegen wurde der direkte Austausch mit den Filmschaffenden und der Einblick in die überaus lebendige kosovarische Kulturszene ermöglicht. Film ist hier also keineswegs nur Kultur, die konsumiert werden kann. Um den Film herum entsteht ein Raum der Begegnung. Gegenwärtig ist eine Kollaboration zwischen Kino Kosova und dem Kino Armata im Entstehen, um die kulturelle Brücke zwischen dem Kosovo und der Schweiz weiter auszubauen. Das Kino Armata in Prishtina kann neben seiner Arbeit als Regisseur als das zentrale Projekt von Hasanaj bezeichnet werden. Dreissig Jahre nach dem Krieg hauchten er, Alush Gashi und Vigan Nimani dem Kino neues Leben ein. Mit improvisierter Technik, kaum finanzieller Unterstützung und einem Programm aus Open Domain Filmen begann 2018 die Geschichte eines Ortes, der mittlerweile fest zur Kulturszene von Prishtina gehört.
«Es wird sich in Zukunft lohnen, die kosovarische Kulturlandschaft im Blick zu behalten.»
Hasanaj stellt das Programm zusammen, das von grossen Klassikern der Filmgeschichte bis zu experimentellen Gegenwartsfilmen reicht. Momentan besteht dieses aus Retrospektiven von progressiven Filmschaffenden aus aller Welt, die nach Prishtina eingeladen werden. So können Orte, die vielen Menschen im Kosovo wegen komplizierten und teuren Visaformalitäten unzugänglich bleiben, in gewisser Weise zu ihnen gebracht werden. Daneben bietet das Kino Armata eine Plattform für Musiker*innen, Kunstschaffende, NGOs und eine Vielzahl anderer Projekte, die alternative Kultur, kritisches Denken und einen sozialen Dialog ermöglichen. Mittlerweile ist das Team gewachsen, die Arbeitsorganisation wurde optimiert und die Technik konnte auf den neusten Stand gebracht werden.
Mehr als bloss Kino
Mit der Neo_School wird im Kino Armata nun ein Bildungsprojekt entwickelt, das von der Swiss Agency for Development and Cooperation unterstützt wird. Es handelt sich dabei um eine non-formale Schule, an der jeweils sechs talentierte Menschen die Möglichkeit erhalten, unter der Anleitung der besten Filmschaffenden des Landes während zwei bis drei Monaten einen eigenen kurzen Dokumentarfilm zu realisieren. Die Neo_School geht im März 2022 in die nächste Runde. Dabei soll die Zusammenarbeit mit Kino Kosova weiter ausgebaut werden, wobei Schweizer Kunstschaffende Projekte im Kosovo realisieren und kosovarische Kunstschaffende in der Schweiz.
Das Kino Armata, das längst viel mehr ist als bloss ein Kino, entwickelt immer neue Formen, um auf das starke Bedürfnis nach Kunst und Kultur im noch so jungen und vor vielen Herausforderungen stehenden Land einzugehen. Dazu kommen hunderttausende von Kosovar*innen in der Diaspora, die ihre eigenen Erfahrungen und Bedürfnisse einbringen. Ilir Hasanaj ist in dieser kulturellen Bewegung eine wichtige Stimme, die zeigt, wie Konstruktives und Wertvolles aus dem persönlichen Engagement in der Kunst selbst wie auch in deren Vermittlung, entstehen kann. Es wird sich in Zukunft lohnen, die kosovarische Kulturlandschaft, die sich mit einer solchen Dringlichkeit und Vehemenz entwickelt, im Blick zu behalten.