Fairplay im Schoggibusiness

13. Dezember 2021

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Schokolade hat eine dunkle Seite: Sie ist selten wirklich fair. Doch es gibt Grund zur Hoffnung – auch dank eines Berner Start-ups.

Die Machtverhältnisse im Kakaogeschäft sind enorm ungleich: Wenigen Firmen stehen rund 6 Millionen Kakaobäuer*innen gegenüber. Letztere verdienen häufig nur einen Bruchteil des Existenzlohns – so sind Armut und Kinderarbeit weit verbreitet, dazu kommen Abholzung und Bodenerosion. Um daran etwas zu ändern, setzen viele Marken auf Labels. Auch in der Schweiz. Hier sind alle grossen Schokoladenhersteller Mitglied der Schweizer Plattform für Nachhaltigen Kakao, die vor drei Jahren gegründet wurde. Eines der wichtigsten Ziele der Plattform ist es, dass bis 2030 nur noch nachhaltige Kakaoprodukte in die Schweiz importiert werden. «Nachhaltig» meint hier, dass die Produkte entweder durch eines der offiziellen Labels (etwa Fairtrade oder UTZ) zertifiziert sind oder dass sie eine unabhängige Firma verifiziert, wie das unter anderem bei Lindt & Sprüngli* der Fall ist.

NGOs weisen seit Jahren darauf hin, dass Labels alleine nicht ausreichen.

Auf dieses Ziel steuern die Mitglieder der Plattform in beeindruckendem Tempo zu.Waren 2019 noch 57 Prozent der Importe zertifiziert oder verifiziert, waren es ein Jahr später bereits 74 Prozent. Alles okay also? So einfach ist es nicht. NGOs weisen seit Jahren darauf hin, dass Labels alleine nicht ausreichen. Einerseits weil Kakaobäuer*innen nur wenig vom Aufpreis der Labels profitieren würden. Andererseits führe der Zertifizierungsboom sogar zu einem Unterbietungswettlauf zwischen den Labels: Statt die Standards allmählich zu erhöhen und den Kakaobäuer*innen einen besseren Lohn zu zahlen, halten sie ihre Anforderungen tief. So können sie zwar innert kurzer Zeit viele Zertifikate ausstellen; die Kakaobäuer*innen hingegen profitieren kaum.

Public Eye kritisiert ausserdem die Tatsache, dass sich das 100 Prozent-Ziel nur auf den Import von Kakaoprodukten bezieht. Stattdessen müssten sich die Firmen dringend auch für jenen Anteil ihrer Schokolade interessieren, der gar nie in die Schweiz kommt, sondern direkt im Ausland verarbeitet und verkauft wird (wer schon mal im Ausland Lindt-Schoggi gekauft hat, weiss, dass diese nicht in der Schweiz hergestellt wird).

Hauptsache zertifiziert?

«Es ist allen klar, dass man die Probleme der Kakaobranche nicht einzig durch Zertifikate lösen kann», sagt Christian Robin. Er ist Geschäftsleiter der Schweizer Kakao-Plattform. Das Potenzial der Plattform liege vor allem darin, dass sie erstmals alle wichtigen Akteure an einen Tisch bringe. «So können sie voneinander lernen», sagt Robin. Bei der Plattform sind nicht nur alle grossen Schweizer Schokoladenfirmen Mitglied, sondern auch das Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO), Forschungsinstitute wie die ETH, NGOs wie Helvetas und diverse Detailhandelsfirmen. Mit den Schweizer Firmen Nestlé, Lindt & Sprüngli, Barry Callebaut und ECOM finden sich auch gleich mehrere der einflussreichsten Player im weltweiten Kakaobusiness unter den Plattformmitgliedern.

Kakaobäuer*innen können im globalisierten Kakaobusiness kaum mitreden. Deshalb geht ein Berner Start-up einen neuen Weg.

«Bei aller berechtigten Kritik darf man nicht vergessen, dass die Schokoladenfirmen vor einem riesigen Berg stehen», betont Robin. «Die Herausforderungen sind enorm, denn 70 Prozent des Kakaos kommen aus dem ländlichen Afrika. Dort ist man mit allen Entwicklungsproblemen konfrontiert, die man sich vorstellen kann». Als Beispiel nennt er die schlechte Infrastruktur und das meist tiefe Bildungsniveau der Kakaobäuer*innen. Das mache es in Produktionsländern wie Ghana und der Elfenbeinküste viel schwieriger, die Bedingungen des Kakaoanbaus zu verbessern, als etwa in Südamerika. Um solche strukturellen Rahmenbedingungen zu fördern, führen unterschiedliche Mitglieder der Kakao-Plattform Projekte durch, die jenen der klassischen Entwicklungszusammenarbeit sehr ähnlich sind. Sie zielen etwa auf Einkommensdiversifizierung ab oder gewähren Mikro-Kredite.

In den letzten 15 Jahren sei ein spürbarer Bewusstseinswandel im Gange, stellt Robin fest: «Heute haben alle Firmen die Probleme in den Kakaolieferketten zumindest auf dem Radar. Das ist schon viel». Eine Rolle spielen dabei nicht zuletzt auch Diskussionen über bessere Sorgfaltsprüfungen, wie sie etwa die Konzernverantwortungsinitiative gefordert hatte.

Schokolade vom Hof

Einen ganz anderen Ansatz als Labels wählt die Berner Schokoladenfirma Choba Choba. Sie zahlt ihren Bäuer*innen in Peru für ihren Kakao das Zweieinhalbfache des Weltmarktpreises. Und nicht nur das: Die rund 40 Familien sind zugleich auch Mitinhaber*innen von Choba Choba. An der jährlichen Versammlung bestimmen sie so über die Geschehnisse des Unternehmens mit, auch den Kakaopreis legen sie gemeinsam fest.

«Für die Leute ist es so, als würden sie direkt vom Bauernhof einkaufen – statt Gemüse aber halt Schokolade.»

Möglich ist der höhere Preis dank dem Verzicht auf sämtlichen Zwischenhandel: Der Kakao wird nach der Ernte vor Ort in Peru fermentiert und geröstet und danach direkt in die Schweiz importiert. Hier verarbeitet ihn die Ostschweizer Firma Felchlin im Auftrag von Choba Choba zu Schokolade.

«Für die Leute ist es so, als würden sie direkt vom Bauernhof einkaufen. Aber statt Gemüse von nebenan kaufen sie halt Schokolade aus Peru», sagt Christoph Inauen. Er ist Mitgründer von Choba Choba – und kennt die Situation der Kakaobäuer*innen nur zu gut. Schon vor der Gründung von Choba Choba arbeitete er mit den Bäuer*innen aus dem peruanischen Alto Huayabamba-Tal zusammen. Damals im Auftrag einer grossen Schweizer Schokoladenfirma. Irgendwann hätten die Kakaobäuer*innen vorgeschlagen, einen grösseren Teil der Wertschöpfungskette nach Peru zu verlagern, um weniger abhängig zu sein vom stark schwankenden Weltmarktpreis. Vor sechs Jahren entstand so die Firma Choba Choba mit 36 Familien aus Peru und Christoph Inauen und Eric Garnier als Gründerteam. Als Name wählten sie Choba Choba – auf Quechua heisst das so viel wie «Ich helfe dir, du hilfst mir».

Christoph Inauen hat Choba Choba mitgegründet. Die Berner Schokoladenfirma hat ein einzigartiges
Geschäftsmodell: Die Kakaobäuer*innen aus Peru sind finanziell am Unternehmen beteiligt.

Mitgründer Christoph Inauen blickt zurück: «Wir mussten beim Aufbau der Firma kreativ sein, denn so ein System gab es vorher nicht», erklärt er. Das Unternehmen in Bern ist nun eine Aktiengesellschaft, von hier aus wird die Schokolade vermarktet und verkauft. Die Kakaobäuer*innen vor Ort sind als Genossenschaft organisiert und halten so Anteile an Choba Choba. Und dann gibt es noch die Choba Choba Stiftung: Sie finanziert unter anderem Projekte zum Schutz des peruanischen Regenwaldes und für die Ausbildung der Kakaobäuer*innen. Während es weitere Schweizer Schokoladenfirmen gibt, die den Kakao direkt importieren und einen höheren Preis zahlen – zum Beispiel Schöki aus Luzern oder Garçoa aus Zürich – ist die finanzielle Beteiligung der Bäuer*innen bei Choba Choba einzigartig. Und deshalb selbstredend zentrales Marketingtool. Auf jeder Schokoladentafel steht direkt unter dem Logo «farmer owned», auf der Webseite wird man aufgefordert, Teil der «community» zu werden, und frühe Plakate warben gar mit «taste the revolution».

Choba Choba als Vorbild?

Choba Choba entstand also aus Kritik am Mainstream. Dass dieser sich massgeblich ändern wird, glaubt Christoph Inauen denn auch nicht. «Die Lieferketten der grossen Player sind schlicht zu komplex. Und sie sind gefangen in ihrem System, wo Aktionär*innen hauptsächlich eine Rendite sehen wollen», sagt er. Ein Unternehmen müsse stattdessen von Anfang an eine Struktur haben, die ihm erlaubt, die Ressourcen und die Menschen nicht auszubeuten. Danach könne es langsam wachsen und seine Wirkung dadurch ausbauen.

Die finanzielle Beteiligung der Bäuer*innen ist einzigartig.

Genau hier liegt auch für Choba Choba die grösste Schwierigkeit: Um wirtschaftlich rentabel zu werden, muss das Unternehmen den Umsatz steigern. Und das kostet Geld. Viel Geld. So viel, dass Choba Choba Ende November 2021 bereits zum zweiten Mal das Eigenkapital erhöhte. Das heisst, es gab zusätzliche Aktien heraus, und verkaufte sie an jene, die sich das leisten können: an Einzelpersonen in der Schweiz. Damit sank unweigerlich der finanzielle Anteil der peruanischen Kakaobäuer*innen am Unternehmen. Um sich dennoch treu zu bleiben, war das Stimmrecht allerdings von der Kapitalverteilung entkoppelt. So ändert sich der Stimmenanteil der Bäuer*innen auch durch den neusten Verkauf von Aktien kaum; sie halten weiterhin knapp 30 Prozent der Stimmen.

Auch Choba Choba ist also nicht perfekt. Das muss es aber auch nicht sein. «Wer solche Initiativen kritisiert, kritisiert die Falschen», steht auch für Plattform-Geschäftsleiter Robin fest. «Sie bringen definitiv Innovation in die Branche». Bleibt also zu hoffen, dass Choba Choba zum Denken anregt – die grossen Firmen wie auch die einzelnen Schoggiliebhaber*innen. Damit künftig nicht nur über die Schweiz als Schoggiland gesprochen wird, sondern auch kritischer reflektiert wird, unter welchen Umständen eigentlich die Rohstoffe dafür hergestellt werden.


*In einer ersten Version des Artikels stand fälschlicherweise, dass dies bei Nestlé der Fall ist. Richtig ist jedoch Lindt & Sprüngli.

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