Zur Ausweitung der Rassismusstrafnorm
Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich schwule Rechtslibertäre und Evangelikale einig sind. Umso gewichtiger ist ihr Anliegen: Nichts Geringerem als der Rettung der Meinungsfreiheit haben sie sich verschrieben. Denn diese wäre bei einer Ausweitung der Rassismus-Strafnorm auf die sexuelle Orientierung gefährdet, behaupten die zwei voneinander getrennte Komitees. Was dramatisch klingt, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als eine Verdrehung des Grundgedankens der Meinungsfreiheit.
Für die Gegner*innen der Rassismusstrafnorm ist die Meinungsfreiheit ein zu hohes Gut, als dass sie in irgendeiner Form eingeschränkt werden dürfe. Auch wenn sie mitunter Ansichten schützt, die rassistisch, antisemitisch oder eben homophob sind. Mit anderen Worten: Meinungsfreiheit bedeutet für sie, bedingungslos sagen zu können, was einem gefällt. Den meisten Menschen werden die Grenzen dieses Freiheitsverständnisses im Kindergartenalter bewusst, wenn beleidigende Worte schnell in Gewalt umschlagen. In der Folge verinnerlicht eine Mehrheit die goldene Regel, andere so zu behandeln, wie sie selbst behandelt werden möchten – angefangen bei der Sprache. Nur auf dieser Grundlage können Demokratie und Meinungsfreiheit gedeihen. Die Gegner*innen der Rassismusstrafnorm werden nicht müde zu betonen, wie sehr sie Diskriminierung ablehnen. Ihre Sorge gelte vielmehr einer missbräuchlichen Auslegung des Gesetzes in Form von Zensur. Sie bleiben es allerdings schuldig, konkrete Beispiele von Sätzen zu nennen, die nicht mehr gesagt werden dürften, aber trotzdem noch Teil der demokratischen Debatte sein sollten. Das Argument der missbräuchlichen Auslegung kann zudem gegen jedes Gesetz vorgebracht werden, weil es nichts mit Gesetzen an sich, sondern mit einem generellen Misstrauen gegenüber dem Justizsystem zu tun hat. Die bisherige Erfahrung mit der Rassismusstrafnorm beweist vielmehr, dass das Schweizer Justizsystem dieses Gesetz mehr als vorsichtig anwendet: Wenn weder das Zeigen des Hitlergrusses auf dem Rütli noch ein Aufmarsch in Ku-Klux-Klan-Gewändern in Schwyz als Verbreitung rassendiskriminierender Propaganda im öffentlichen Raum gelten, werden auch Bibelzitate zur Homosexualität an der Sonntagsmesse noch erlaubt sein. Und selbst bei einer der seltenen Verurteilungen garantiert uns die Meinungsfreiheit, Entscheidungen der Justiz kritisieren zu dürfen.
Den meisten Menschen werden die Grenzen dieses Freiheitsverständnisses im Kindergartenalter bewusst, wenn beleidigende Worte schnell in Gewalt umschlagen.
Weiter argumentieren die Mitglieder der beiden Komitees, dass sich Diskriminierung nicht per Gesetz aus der Welt schaffen lässt. Einen öffentlich geäusserten Aufruf zu Hass zu bestrafen hält die betroffene Person selbstverständlich nicht davon ab, diskriminierende Gedanken zu hegen. Der Schwerpunkt der Bekämpfung von Hass liegt denn auch unbestritten im gesellschaftlichen und politischen Engagement dagegen. Analog zu diesem Argument könnten wir aber auch Mord und Totschlag legalisieren, weil das Gesetz es bis anhin nicht geschafft hat, Mord und Totschlag aus der Welt zu schaffen. Darum geht es gar nicht bei Gesetzen. Gesetze enthalten immer implizit den Wunsch der Gesellschaft, überflüssig zu sein. Gemacht werden sie nur für diejenigen, die das mit der goldenen Regel im Kindergarten verpasst haben. Und dass eine Person erst aus Reiz am Verbotenen rassistische, antisemitische oder homophobe Kommentare macht, darf bezweifelt werden. Oder glaubt heutzutage noch jemand an das Image der gegen die Staatsgewalt rebellierenden Kiffer*innen? Vielmehr liegt der Verdacht nahe, dass Rassist*innen, Antisemit*innen und Homophobe opportunistisch und lautstark die «Unterdrückung der Meinungsfreiheit» beklagen, um sich Sympathien und Mitleid von Demokrat*innen zu erheischen.
Gesetze enthalten immer implizit den Wunsch der Gesellschaft, überflüssig zu sein.
Als Letztes behaupten die Komitees, dass homosexuelle Menschen durch dieses Gesetz Sonderrechte erhalten würden. Auch das trifft nicht zu. Zwar wird ein weiteres spezifisches Kriterium – die sexuelle Orientierung – in das Diskriminierungsverbot aufgenommen, nicht aber eine besondere sexuelle Orientierung. Nicht nur homosexuelle Menschen dürfen nicht wegen ihrer sexuellen Orientierung diskriminiert werden, sondern kein Mensch. Die Rechtsgleichheit ist dadurch gewährleistet. Dass gerade dieses spezifische Kriterium in die Rassismusstrafnorm aufgenommen werden soll und homosexuelle Personen faktisch häufiger durch dieses Gesetz geschützt werden dürften als heterosexuelle, ist nicht dem Gesetz, sondern der gesellschaftlichen Realität geschuldet. Dasselbe gilt für die Ethnie und die Religionszugehörigkeit.
Nicht nur die Argumente der beiden Komitees vermögen nicht zu überzeugen. Auch bei der Glaubwürdigkeit hapert es. Den Rechtslibertären scheint es bei ihrem Engagement wie immer um ihr Dogma zu gehen, nichts (demokratisch) regulieren zu wollen – um was es inhaltlich geht, ist sekundär. Anders sieht es beim evangelikalen Komitee aus. Dort scheint das plötzliche Engagement für die Meinungsfreiheit weniger demokratiepolitischen Überzeugungen zu entspringen, als der Ablehnung von Homosexualität. So unterstützte im Jahr 2014 eine der Trägerorganisationen des Komitees, die Stiftung «Zukunft CH», unter dem Deckmantel des Kinder- und Jugendschutzes eine Klage gegen die HIV-Präventionskampagne des Bundesamts für Gesundheit. Wem schon ein bisschen nackte Haut auf einem Plakat als Grund dient, juristisch gegen eine Kampagne vorzugehen, sollte sich besser nicht als Verteidiger*in der Meinungsfreiheit aufspielen.
Zur Abstimmung
Am 9. Februar 2020 stimmt die Bevölkerung darüber ab, ob die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung unter Strafe gestellt werden soll. Dazu soll das bestehende Gesetz gegen die Diskriminierung von Menschen basierend auf ihrer «Rasse, Ethnie oder Religion» auf die sexuelle Orientierung ausgeweitet werden.