„Und, was machsch när dermit?“

Illustration: Jana Schwab

18. Oktober 2017

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Von wegen Wahlfreiheit. Redete ich mit Menschen über mein Studium, zerrten sie mich mit Ratschlägen und Warnungen in ihre Richtung. Der soziale Druck machte mir die Studienwahl zur Qual. Am Ende blieb mir nur eins: Abhauen.

Eigentlich war mir klar, was ich studieren würde: Philosophie. Warum, hab ich mich nie wirklich gefragt. Andere taten es bei jeder Gelegenheit. Warum sollte jemand sowas wie Philosophie studieren wollen? Ist es nicht vor allem Rekapitulation von schon Gedachtem, vor unserer Zeit Niedergeschriebenem? «Eh…ja, scho», druckste ich jeweils rum, und erinnerte mich an einen Schulausflug. Der Lehrer sagte einen Satz, der sich mir einprägte: «Nur wer versteht, was war, versteht, was ist». Darum ging es mir. Ich wollte ergründen, was ich hier eigentlich sollte. Philosophie schien mir da goldrichtig. Um mich den Leuten zu erklären, suchte ich nach einer geeigneten Sprache. Ich entwarf ein silbernes Präsentiertablett mit Argumenten, das ich den Zweifelnden hinhielt: Schaut, ich bin ausgerüstet mit vielen «JA!»s für dieses Ding «Philosophiestudium», das euch unheimlich erscheint. Da hätten wir einmal solide Pasta aus Formulieren, Hinterfragen und Aufdecken, angerichtet an einer neugierigen Sauce, gepfeffert mit Klarheit und Verstand. Besonders empfehlen kann ich heute die «tarte de rien», bei deren Auf-der-Zunge-zergehen-lassen Sie feststellen werden, wie süss die Beschäftigung mit dem Nichts ist.

Eine Wut auf die Gesellschaft

Für jedes Gegenüber stellte ich ein neues Menü zusammen. Zum Beispiel für Typ A: der Angeber. Überzeugt vom eigenen Weg, würde er alles nochmal genau so machen. Zeigt kein Interesse an mir als Mensch, sondern nur daran, mich herauszufordern. Das liess ich zu, weil ich dachte, es würde mich belustigen. Dem war nicht so. Mein Tun widerte mich an, ich fühlte mich kriecherisch. Schwierig war Typ B, der Skeptiker: Menschen mit wenig Selbstvertrauen, die mir aus Erfahrung von riskanten Wegen abraten. Selbst unzufrieden in ihrem Dasein, können sie anderen ihre Begeisterung nicht abkaufen und denken, da sei doch was Anderes dahinter. Sie fragen, ob ich eine schwierige Kindheit hatte und raten zu etwas Aktivem, das weniger kopflastig ist. Und dann gab es noch Menschen wie meine Grossmutter, die mich nicht einmal zeigen liessen, was ich mir für sie ausgedacht hatte: «Momou, sofern de öpis machsch, sofern de öpis machsch, aber säg mau, was eigntlch? Philosophiere, aha, mou…Chlei gsprächle mit de angere? U de när! när, he! Wöu… es steut sech haut scho geng d’Frag! Vom Nääär… Chli rede über Sache, das machi o fei gärn, he. Aber gäu, das bringt dr de schlussändlech nüt. Weisch we dr Grosspapi aube id Bude isch, bini du scho einsam gsi, aber lieber, gäu, lieber, aus dassers nid hätt gmacht. Geng ischer guet ga schaffe. U äbe, so heimer du o id ferie chönne! Wosch ja gwüsswägä nid öpis lehre, wod nid id Ferie chasch?» Ich nickte: Jaja. Aber Nichtssagen ist Zustimmen. Ich fühlte mich schlecht, nicht gescheitert, aber schlecht. Ich wollte einstehen für mich und für die Geisteswissenschaften, einstehen für alle, die nicht meine Grossmutter sind. Alle Nicht-Onkel und Nicht-Tanten dieser Welt, die ihren eigenen Weg gehen. Warum lässt man mich nicht einfach machen? Ich entwickelte eine Wut auf die Gesellschaft, die mich mit ihren Krallen in ihre Richtung zerren wollte.

Auf Identitätssuche

Nach der Wut meldete sich der Zweifel. Warum will ich etwas studieren, das mir angeblich kein Geld bringt? Ich befand: Weil mir Geld nicht so wichtig ist wie ihnen. Ich wusste zwar: Es war eine lausige Schein-Antwort auf eine lausige Schein-Frage, um mir selbst wieder Mut zu geben. Denn wenigstens ich musste mir in der Sache sicher sein. Ich war die Stimme, die mich ermunterte: «Alle deine Entscheidungen werden gut sein». Zugegeben: Es hätte nicht unbedingt Philo sein müssen. Ich interessiere mich eigentlich für viele Studiengänge. Aber Philosophie vereinte, was mich faszinierte: Ethik, Kunst, Existenzfragen. Doch sie verstanden mich nicht. Um denken zu lernen, könne ich grad so gut etwas «Nützliches» lernen. Ob ich unsicher wurde, weil ich dem Rechtfertigen überdrüssig wurde? Äusserst sokratisch, wusste ich allein, dass ich nichts mehr wusste. Was schön war. Weil es das Feld öffnete. Wieder neugierig geworden auf andere Disziplinen, verwarf ich das Gefundene. Mich wieder auf den Weg zu machen: Ein abenteuerliches Vorhaben. Da stand ich, Identifikationsmöglichkeiten reihenweise wegpfeffernd, bereit, mich komplett neu zu erfinden.

Ein regelrechter Test

Also hiess es: Selbstfindung! Reisen wurden geplant. Nach Irland ging’s, an die wilde Atlantikküste, auf die Insel des Biers und des Scheiterns, der Musik und der Gutmütigkeit. Ich verliebte mich in die Melodie und Rhythmik der irischen Sprechweise. Ich verstand, dass es mir nicht nur um die Liebe zur Weisheit ging, sondern auch um Liebe für Geschichten. Ich wollte mich mit Theorie befassen, aber auch mit Emotionen und den Feinheiten von Sprache. «Egau was – du muesch nur wöuä», gibt sich die Grossmutter nun mit meinem Englisch-Studium zufrieden. Warum trauen wir anderen nicht zu, Entscheidungen für ihr Leben zu treffen? Als seien nur ausgetretene Wege vernünftig! «Und, was machsch när dermit?», wird nicht aus Interesse gefragt. Es scheint mir ein regelrechter Test zu sein, bei dem innerlich schelmisch und wissend gegrinst wird, schon bevor die Frage über die unschuldig lächelnden Lippen kommt.

 

 

Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #8 Oktober 2017

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