Studieren, wenn man frei hat?

BTO. Bild: Angela Krenger

Arbeitsort Basisbibliothek Unitobler: StudentInnen bereiten sich auf die Prüfungen vor, recherchieren, lesen und verfassen Arbeiten. Bild: Angela Krenger

05. Oktober 2015

Von und

Letztes Jahr studierten mehr als 12 000 Personen an der Universität Bern. Davon erhielten 758 ein Stipendium und 94 ein staatliches Darlehen. Wer von den übrigen 11 000 keine zahlungskräftigen Eltern hat, muss arbeiten. Doch Job und Studium lassen sich nicht einfach vereinbaren.

Philipp Kaiser aus Mühledorf (SO) beginnt diesen Herbst mit seinem Studium an der Pädagogischen Hochschule (PH) Bern. Zurzeit arbeitet er um die 80 Prozent; während des Studiums wird er auf 40 Prozent reduzieren. Das ist das Mindestpensum, zu welchem im Starbucks Coffee gearbeitet wird. Die Filiale im Bahnhof Bern, in der Philipp arbeitet, hat unter der Woche bis 23.00 Uhr geöffnet. Der Einundzwanzigjährige ist deshalb zuversichtlich. «Ich werde wohl einen Tag am Wochenende und zweimal unter der Woche arbeiten», erklärt er und fügt an: «Ich habe mich mit einem BWL- und einer JUS- Studentin ausgetauscht, die ebenfalls hier arbeiten. Die sagen das lasse sich einrichten.» Während der Prüfungszeiten sei die Chefin entgegenkommend und das Pensum könne zwischenzeitlich heruntergefahren werden. Wird das klappen?

Um die 90 Prozent der Berner Studis sind erwerbstätig und das, obschon an der Universität und der PH Bern eigentlich vollzeit studiert werden sollte. Selbstbewusst erklärt die Uni in ihrem Leitbild: «Die Universität Bern versteht sich als Volluniversität in der Tradition der europäischen Universitäten.» Das heisst, Studierende absolvieren pro Jahr 60 European Credit Transfer System (ECTS) Punkte, was 1500 bis 1800 Stunden entspricht. Das Vollzeitstudium verlangt während des Semesters 46 Stunden Einsatz pro Woche. Plus drei bis vier Wochen in den Semesterferien.

 

Nora Wyler. Bild: Angela Krenger

Arbeitsort Bern Bahnhof: Die Studentin Nora Wyler verdient sich im Bayard Accessoires ihr Geld. Bild: Angela Krenger

 

Trotzdem ist Nora Wyler nebst ihrem Germanistikstudium zu 70 Prozent erwerbstätig. Nach dem ersten Semester ist sie von zu Hause ausgezogen und finanzierte sich Wohn- und Lebensunterhalt selbst. Nur die Semestergebühren erhält sie von ihren Eltern. Die fünfundzwanzigjährige Bernerin arbeitet in den Geschäften Bayard Accessoires und Street One im Bahnhof Bern. Nach zehn Semestern beendet sie diesen Herbst ihr Bachelorstudium. Damit dauerte ihr Studium 2 Jahre länger als die Regelstudienzeit. «Die lange Studienzeit ist durchaus ein Nachteil», sagt sie «Doch die Erfahrungen in der Kundenberatung sind schon wertvoll». Allerdings hofft sie, nach dem Bachelor studiumspezifischer tätig zu werden.

«Man muss schon flexibel sein. Ich hoffte einfach, dass die spannenden Kurse an den Tagen stattfinden würden, an denen ich frei hatte», erzählt die Germanistin. Das Schwierigste sei die Anwesenheitspflicht, und berichtet: «Mehr als drei Mal fehlen und du kannst die Veranstaltung nicht abschliessen».

Nicht nur Nora und Philipp machen sich in der Bahnhofsunterführung verdient. Die dortigen Betriebe profitieren massgeblich von den preiswerten Arbeitskräften. Von 42 befragten Geschäften der Unterführungspassage arbeiten in 28 StudentInnen. In sechs Betrieben sind momentan keine angestellt und nur acht Unternehmen stellen überhaupt keine Studis ein. Gemäss Erhebung des Bundesamts für Statistik (BFS) arbeiten die meisten Studierenden in solchen Jobs, die keiner speziellen Ausbildung bedürfen.

Aber die Möglichkeiten sind vielfältig. Die Rechtsstudentin Lorina Wyss arbeitete während ihrem Bachelorstudium im Service, aber auch als Gästeberaterin bei Bern Tourismus, Buchhalterin beim Schweizer Musikrat, Marketing Assistentin, Kundenberaterin bei der Migros Klubschule, Indoor Cycling-Instruktorin und Sachbearbeiterin für Immobilen-Vermarktung. Im Moment ist sie Sekretärin und Buchhalterin in einem Notariat. «Ein Chef hat einmal zu mir gesagt, ich hätte nun praktisch eine KV-Ausbildung mit meiner Arbeitserfahrung – das ist natürlich wertvoll.», erzählt Lorina. «Dank flexiblen Arbeitgebern liess sich Studium und Job meist gut vereinbaren», erklärt sie und fügt ehrlich an, «doch die Noten haben gelitten. Im Nachhinein würde ich, wenn möglich nie mehr arbeiten als 30 bis
40 Prozent, damit noch genügend Zeit zum Lernen bleibt».

 

«Man muss schon flexibel sein. Ich hoffte ­einfach, dass die spannenden Kurse an den ­Tagen stattfinden würden, an ­denen ich frei hatte.»

 

Die Doppelbelastung der Studis wirkt sich nicht nur auf die Studienzeit und die Noten aus, sondern ist auch im Unterricht spürbar. «Seit ich in Bern lehre, fällt mir auf, dass Studierende besonders häufig darauf hinweisen, sie seien berufstätig und könnten deshalb Studienleistungen nicht gut vorbereiten oder die angebotenen Termine nicht wahrnehmen», sagt Oliver Lubrich, Professor für Komparatistik und Neuere deutsche Literatur an der Universität Bern. Gleichzeitig stelle er aber fest, dass Abendveranstaltungen, die man auch nach der Arbeit besuchen könnte, von Studierenden nur sehr selten besucht würden. Auch Michael Stolz, Professor für germanistische Mediävistik fällt auf, dass viele Studierende erwerbstätig sind. «Das macht sich immer wieder auch im Unterricht bemerkbar, etwa durch Fehlen, mangelnde Vorbereitung, reduzierte Konzentration und Verfügbarkeit, zum Beispiel für Besprechungen in Arbeitsgruppen.»

Die Vereinbarkeit von Studium und Erwerb ist also ein Problem. Viele Studis verlängern deswegen ihre Studienzeit. Zwischen 70 und 80 Prozent der Gesuche um Studienzeitverlängerung an der Philosophisch-Historischen Fakultät ergehen aufgrund von Erwerbstätigkeit. Doch einer verlängerten Studienzeit stehen hohe Studiengebühren und teils stark vorstrukturierte Studienpläne entgegen. Zudem gilt an der Universität Bern die neue Gebührenregelung. Wer ab jetzt länger als 12 Semester ohne einen Abschluss studiert, bezahlt 1500 Franken. Die Gebühr verdoppelt sich für jedes weitere Semester. In Härtefällen kann die Gebühr erlassen werden. Erwerbstätigkeit während dem Studium ist allerdings kein Grund für einen Härtefall.

Bleibt die Möglichkeit, dass Studenten ausreichend zinsfreie Darlehen oder Stipendien erhalten – 758 Stipendien und 94 Darlehen für mehr als 12 000 Studierende sind nicht genug.

 

Ein Gesuch, um die Studienzeit zu verlängern, ist einzureichen an der
Auf Bachelorstufe Auf Masterstufe 120/90 ECTS:

Theologischen Fakultät im 6./ 7. Semester (Latinum)

Phil. Hist. Fakultät im 8. Semester

Phil. Hum. Fakultät im 6. Semester

RW Fakultät im 12. Semester

WISO Fakultät im 10. Semester

Phil. Nat. Fakultät im 8. Semester

Achtung: für das Einführungsstudium gelten eigene Fristen.

Auf Masterstufe 120/90 ECTS:

Theologischen Fakultät im 4./ 3. Semester

Phil. Hist. Fakultät im 6. Semester

Phil. Hum. Fakultät im 4./ 3. Semester

RW Fakultät im 9. Semester

WISO Fakultät im 7. Semester

Phil. Nat. Fakultät im 6./ 5. Semester

 

 

Dieser Beitrag erschien in der bärner studizytig #51Oktober 2015

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